Teil 33: Chile IV - Bolivien

Nachdem wir erst über einen Umweg den Zugang zu Bolivien gefunden hatten, liess uns dieses faszinierende Land bis heute nicht mehr los. Riesige Salzseen, Lagunen, Minenstädte, alle über 4000 m.ü.M. gelegen waren ein weiteres grossartiges Highlight dieser Reise. Aber es war kalt hier oben, sodass wir froh waren, auch das bolivianische Tiefland kennen zu lernen, das es allerdings in sich hatte, denn die Regenzeit liess sich dieses Jahr wegen des El-Niño-Phänomens Zeit und verwandelte die geplanten Routen in Schlammpisten, die uns körperlich und fahrtechnisch das Äusserste abforderten.

Nach einem Trip auf einem Dschungelfluss, auf dem wir fischen lernten und der kurvenreichen Fahrt über die Ruta de la Muerte sind wir unterdessen in La Paz gelandet. In der Zwischenzeit ist eine neue Idee gediehen - das ultimative Abenteuer mit einem Motorrrad-angetriebenen Floss, das uns von Peru über den Amazonas 3000 km östlich nach Manaus bringen soll. Die Vorbereitungen laufen...

Mi, 26.04.2017: Verschlimmbessert oder Sauerstoffstress

Genau auf diesen Trip hatte ich mich schon lange gefreut, nämlich hoch zum Paso Jama zu fahren und schon vor der Passhöhe die Abzweigung vorbei am Volcán Licancabur Richtung bolivianische Lagunas weit über 4000 m.ü.M. zu nehmen. Die Vorfreude war gross, und schon kurz nach acht Uhr war ich daran, das unermessliche Chaos in unserem Zimmer zu entrümpeln und Ordnung in meine Sachen zu bringen.

Fast pünktlich um zehn Uhr fuhren wir zur Tankstelle mitten in San Pedro, wo wir auf Roq, den Spanier trafen. Alle Ersatzcontainer wurden mit Benzin gefüllt, denn in Bolivien wird es vor allem zu Anfang deutlich schwieriger, zu Treibstoff zu kommen. Der Zoll Richtung Bolivien/Argentinien liegt gleich ausserhalb San Pedros, die Formalitäten waren schnell erledigt – und schon waren wir zu dritt unterwegs Richtung Paso Jama. Nach einem anfänglich flachen Stück begann die gut ausgebaute Strasse bald steil aufzusteigen. In vierzig Kilometern waren gegen zweitausend Höhenmeter zu überwinden. Sam hatte noch gestern seine Vergaserschraube so weit verändert, dass seine Maschine in grösseren Höhen mehr Leistung bringen sollte.

Schon bevor wir die 4000 m.ü.M. erreicht hatten, begann seine Maschine immer mehr zu stottern. Sams Honda kroch mit 30 km/h die steile Strasse hoch. Offenbar reagierte der Vergaser von Sams Maschine kontraproduktiv, brachte weniger Leistung. Zudem roch aus dem Auspuff schwarz-weisser Rauch, die Kerzen waren verkohlt, die zwar bald gereinigt waren. Aber auch im nächsten Versuch kam Sam nur weniger als einen Kilometer weit. Depression! Sams gestrige Aktion mutierte zum Rohrkrepierer, die Maschine verlor so viel Leistungsfähigkeit, dass er es unmöglich über die steile Passstrasse Richtung Bolivien schaffen würde.

Natürlich war es klar für mich, bei Sam zu bleiben, obwohl ich zu gerne Roq Richtung Bolivien begleitet hätte. Wir liessen Roq ziehen, Sam rollte mit seiner Maschine talwärts, ich folgte ihm. Am Zoll gab es glücklicherweise keine Probleme. Obwohl wir erst kaum eine Stunde früher den Ausreisestempel bekommen hatte, war es leicht, den bereits sechsten Einreisestempel nach Chile inklusive der Papiere für den Töff zu erhalten.

Wir hatten vor, Richtung Küste zu fahren, wo sich Sams Maschine vielleicht erholen würde, indem all der Russ im Motor verbrannt würde. Nochmals fuhren wir die langweilige Strecke nach Calama, und von dort vorbei an Chuquicamata, der riesigen Kupfermine Richtung Tocopilla am Pazifik, wo wir natürlich unsere Höhentauglichkeit verlieren würden, aber Ziel sollte es sein, Sams Maschine zu etwas mehr Sauerstoff zu verhelfen. Die Strecke durch die unendliche Steinwüste war tödlich langweilig, aber immerhin schaffte Sams Maschine die zu bewältigende Höhendifferenz. Dreissig Kilometer vor Tocopilla machten wir mitten in der Wüste etwas entfernt vom Strassenrand Halt und stellten unsere Zelte auf, denn die Küste war im Nebel versunken, feuchte Kälte wollten wir uns nicht antun. Natürlich war weit und breit kein Holz zu finden, sodass wir wieder einmal den Benzinkocher benutzen mussten.

Auch wenn wir auf nur noch 1400 m.ü.M. übernachteten, dürfte die Nacht kalt werden – halt typisch Wüste. Die Luft ist trocken und laugt die Lippen aus, dafür kamen wir heute Abend in den Genuss von einem besonders klaren Sternenhimmel mit dem Kreuz des Südens, der hell leuchtenden Milchstrasse und anderen fernen Galaxien.

Km: 70‘598 (313)

Do, 27.04.2017: Wüstenküste und Krabbenfänger

Die Wellen schlagen unerbittlich gegen die felsig-zerrissene Pazifikküste, ein wunderbarer Sound, der nur durch die dutzendfachen Schreie der Seelöwen von einer vom wilden Ozean abgetrennten Insel regelmässig unterbrochen wird. Wir befinden uns nur siebzig Kilometer entfernt von Iquique, folgten heute fast den ganzen Tag der „wüsten“ Steilküste Chiles Richtung Norden.

Tocopilla war heute Morgen schnell erreicht, die gut ausgebaute Strasse wurde plötzlich kurvenreich und führte in geschwungenen Kurven steil bergab, bis wir die Ciudad de Energia erreicht hatten, eine wenig attraktive Hafenstadt in der Atacama-Wüste. Es ist hier so trocken, dass zu jedem Tropfen Wasser Sorge getragen werden muss. Den ganzen Tag über sah ich nicht etwas pflanzlich Grünes. Die rekordverdächtig karge Landschaft entlang des Pazifiks mit seiner steinigen Steilküste hat aber durchaus etwas Reizvolles, solange man sich nicht dauernd hier aufhalten muss. Wir passierten einige Caletas, kleine Dörfer, in denen die Menschen mit etwas Tourismus zu überleben versuchen. Die Häuser sind armselig, das Wasser wird per Tank-Lastwagen angekarrt, es ist nicht wirklich ersichtlich, wie die Menschen ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Ich habe Menschen gesehen, die fischen oder in mühseliger Arbeit grosse, dunkelgrüne Algen aus den wilden Wassermassen des Pazifiks sammeln, keine Ahnung wofür. Ich versuchte, diese anzuzünden, aber der Brennwert scheint gering zu sein.

Je weiter wir gegen Norden fuhren, desto sandiger wurde die Steilküste. In wilder Fahrt bewältigten wir die kurze Strecke hinaus zu einer Felsnase hoch über dem Meer gelegen und posierten auf einem Betonpfahl in kontroverser Kulisse mit so viel Wasser zur Rechten und Staub, Sand und Stein zur Linken.

Dann erreichten wir die Seaworld, einem durch eine Mauer abgetrennten, längst aufgegebenen Naturpark. Wir fuhren bis jenseits eines Felsens und sahen auf einer nahen Insel Hunderte (!) von Seelöwen, die sich ein Sonnenbad gönnten oder sich um einige Quadratmeter warmen Felsens stritten. Es war noch relativ früh, sodass ich viel Zeit hatte, diese Tiere zu beobachten. Ich überraschte fünf der Tiere in einem von einem Felsen geschützten Salzwassertümpel, sie ergriffen sofort entsetzt entlang eines Felsspalts die Flucht. Nachdem die Natur den ganzen Tag über inexistent zu sein schien, überrascht sie hier mit einer unerwarteten Vielfalt. Lange beobachtete ich die vielen Seelöwen auf der nahen Insel, ich wurde aber immer wieder abgelenkt durch verschiedene Arten von Vögeln, unter anderem eine Art Seegeier mit rotem Kopf, aber auch durch Massen von an das grau-braune Gestein angepasste, kleine Echsen, vor allem aber auffällig rot-orange gefärbte, massenhaft vorkommenden Krabben, die sich auf dem warmen Gestein sonnten.

Bald sassen wir bei Rotwein bei unserem Lagerplatz, mit gutem Grund, denn Sam feierte heute seinen 29. Geburtstag. Bald war er daran, aus einer herumliegenden Zweiliter-Petflasche eine Reuse zu basteln, mit der er versuchte, eine Krabbe zu fangen. Als Köder verwendete er etwas argentinische Salami. Ich staunte nicht schlecht, als Sam bald mit seiner Flasche aufkreuzte, aber nicht etwa leer, sondern gefüllt mit einer dieser Krabben. Zuvor hatte ich noch gesagt, er sei ein Held, wenn er eine fangen würde, und jetzt war er tatsächlich einer. Aber wie zubereiten? Das Wasser kochte schnell (erneut ohne Holzfeuer), dafür wegen Wassermangels mit 50% Meerwasser. Das Tier wurde ganz einfach in das brühend heisse Wasser geworfen und bewegte sich dort nur noch Momente. Die Vorspeise gelang ausgezeichnet, die Spaghetti danach waren eher geeignet, den Hunger zu nehmen. Sam war schon wieder unterwegs, eine weitere Krabbe zu fangen. Weil es dunkel war und die Krabben sich das helle Taschenlampenlicht offenbar nicht gewohnt sind, konnte er ein weiteres, diesmal noch grösseres Exemplar mit riesigen Scheren recht problemlos mit zwei Teilen einer Petflasche festhalten und hoch zu unserem Lagerplatz bringen. Das Spaghetti-Wasser diente uns jetzt bereits ein drittes Mal, es bekam allmählich eine senfgelbe Farbe (!), aber das Krabbenfleisch war sensationell zart und fein und diesmal auch von der Menge etwas ausgiebiger. Schliesslich fingen wir auch noch ein drittes Exemplar, das Brühwasser tat damit seinen vierten Dienst…

Aber nicht alles läuft momentan rund. Sams Maschine produziert noch immer russiges Abgas. Zwar läuft sie unterdessen wieder problemlos, aber sie verbraucht massiv mehr Benzin. Noch ist nicht klar, wie es weitergeht, ob sogar am Motor etwas beschädigt ist. Es kann gut sein, dass wir in Iquique einige Tage bleiben werden, oder ich werde alleine in Boliviens Hochland reisen müssen – unterdessen wird dies wohl auch nicht ohne Probleme abgehen, weil ich mich unterdessen wieder auf Meereshöhe befinde. Ich geniesse dies momentan zwar enorm, weil es wieder wärmer ist (der Nebel hat sich heute hinaus aufs Meer verzogen), aber es fragt sich, wie ich dann die grosse Höhe ertragen werde…

Km: 70‘789 (191)

Fr, 28.04.2017: Mahnmale am Strassenrand und eine überraschend wohlhabende Stadt

Die Sonne liess sich heute Morgen lange Zeit, mit ihren wärmenden Strahlen das taunasse Zelt zu trocknen. Ich war nicht der einzige, der sich über den Wärmespender freute, Dutzende von rotschnabeligen Geiern sassen auf den Felsen und breiteten ihre Flügel aus, als ob dadurch die Geschmeidigkeit ihrer Flugbewegungen perfektioniert würde. Die Seelöwen hörten auch mit Sonnenstrahlen nicht auf zu schreien – wie die ganze Nacht, aber der Schlaf auf Meereshöhe bei angenehmen Temperaturen und wenig Wind war trotzdem hervorragend und erholsam.

Ich machte mich nochmals auf einen Rundgang zu den Seelöwen und den Geiern, Sams Reuse war leer, sodass es keine Krabben zum Frühstück gab, dafür Eier und Brot, und es war angenehm mild – einfach herrlich. Wie überall in Chile staunt man, wie viele Verkehrsunfälle auch auf scheinbar ungefährlichen Stellen passieren. Gleichsam wie Mahnmale stehen immer wieder mehr oder weniger kunstvolle Grab-Denkmäler am Strassenrand, manchmal mit Teilen des Unfallfahrzeuges, immer mit Kreuz, für Vorbeireisende vielmehr als Mahnmale wirkend oder als Hinweis gedacht, dass es nicht selbstverständlich ist, unfallfrei unterwegs zu sein.

Kurz nach der Abfahrt realisierte man, warum in dieser trostlos trockenen Gegend Menschen wohnen. Das Land ist überaus mineralienreich, die Menschen schöpfen daraus Reichtum. Ich staunte, wie zwanzig Kilometer vor Iquique aus der zweispurigen Überlandstrasse eine vierspurige Autobahn wurde. In der lebendigen Stadt mit einem schönen, alten Stadtkern mit Bauten aus dem frühen 20. Jahrhundert stehen heute erstaunlicherweise zum Teil Hochhäuser, obwohl es eigentlich Land zur Genüge gibt, um sich in der Horizontalen auszudehnen.

Wir fanden in einem kleinen Hotel eine saubere Unterkunft mit Parkplätzen. Am Nachmittag war ich in der Stadt unterwegs, um einen Aluminiumschweisser zu finden, weil meine Benzinflasche fürs Kochen ein Loch hat. Ich hatte sie so ungeschickt an meinen Töffrahmen gebunden, dass eine Mutter durch die Vibrationen das Aluminium zum Erodieren gebracht hatte. Aber ich blieb wenig erfolgreich, sodass ich die undichte Stelle mit Poxipol leimte.

Am Abend schlenderten wir ins Stadtzentrum, wo wir in einem Fischrestaurant hervorragend zu Nacht assen. Unsere gemeinsame Reise steht morgen vor einer Prüfung. Sam hat die wirkliche Ursache der Leistungseinbussen seines Töffs nicht wirklich herausgefunden. Morgen werden wir seine Maschine noch einmal testen und in die Berge Richtung Bolivien fahren, wo sich entscheiden wird, ob wir weiterhin gemeinsam unterwegs sind. Schwierige Aussichten!

Km: 70‘877 (88)

Sa, 29.04.2017: Von Geisterstädten und mysteriösen Schläuchen

Sams Schlauchtragödie fand heute ihre Fortsetzung. Zwar stiegen wir problemlos hoch vorbei an einer gewaltigen Sanddüne über der Stadt, aber bald mussten wir anhalten, weil der Schlauch des Vorderpneus erneut undicht und ergo platt war. Gleich dreimal musste der Schlauch repariert werden, aber es ist nicht klar, weshalb die Schläuche immer wieder lecken.

Als wir Humberstone erreichten, war der Pneu erneut platt (!), aber jetzt interessierte uns vielmehr diese Geisterstadt, in der seit 1872 bis in die Sechzigerjahre Salpeter und Jod abgebaut wurden. Der Ort zog viele Menschen an, die hofften, in den Bergwerken zu etwas Reichtum zu kommen. Eine ganze Stadt wurde in dieser unwirtlichen Wüste aufgebaut, notabene mit Theater, Swimmingpool (obwohl kaum Wasser vorhanden war), Hotel, Kirche, Schule. Nachdem die Produktion aufgegeben wurde und 3000 Menschen ihre Arbeit verloren, wurde der Ort aufgegeben. Heute sind die vielen Produktions- und Industriehallen verrostet und verrottet, die meisten Maschinen, unter anderem von Sulzer (!) wurden zerstört, stehen aber noch immer hier. Die Wellblechdächer sind unterdessen marod, ein Kamin muss gestützt werden, die niedrig gebauten Häuser der Stadt erinnern jedoch an die Blütezeit, allerdings wäre es für mich unvorstellbar, in dieser Pampa zu versuchen, eine Existenz aufzubauen.

Wir waren vor allem lange in den Industriehallen mit den alten Maschinen unterwegs, interessant vor allem für Samuel, der die Funktion vieler riesiger Maschinen erkannte. Das Gestein wurde mit kleinen Eisenbahnwagen zu dem Fabriken gekarrt, zerkleinert, der Salpeter wurde in einem chemischen Prozess aus dem Gestein gelöst.

Nachdem Sam einen weiteren Platten repariert hatte, besuchten wir auch noch die alte, verlassene Minenstadt Santa Laura, etwas kleiner, aber nicht minder interessant.

Wir wollten jetzt noch einige Kilometer Richtung Anden fahren, wurden aber erneut gestoppt durch einen weiteren Platten an Sams Vorderreifen, immerhin an einem Ort mit dürren Büschen und stachligen Bäumen, wo wir jetzt campieren und mitten in der Atacama-Wüste wieder einmal ein Feuer entfachen können. Es war ein recht vergnüglicher Abend – die Bewährungsprobe folgt morgen. Erstens muss herausgefunden werden, warum Sams Vorderschlauch immer wieder punktiert wird, und zweitens wird es überaus interessant sein, wie gut Sam Maschine die Höhe erträgt. Morgen werden wir wieder über 4000 m.ü.M. sein.

Km: 70‘956 (79)

So, 30.04.2017: Zurück in den Hochanden mit störrischer Honda

Als ob sich Sams Honda gegen die Rückkehr in die Hochanden wehren wollte, wurde unsere Hochfahrt gleich zweimal unterbrochen durch erneute Plattfüsse an seinem Vorderreifen. Schliesslich gab ich ihm meinen neuen Schlauch, und das Vorderrad gab endlich Ruhe. Dafür begann die Transalp erneut massiv zu russen, und je steiler es wurde, desto grösser wurde die Leistungseinbusse seiner Maschine. Sam entfernte trotz des Windes und des Staubes und Sandes in der Luft seinen Luftfilter, und erstaunlicherweise kam die Honda jetzt auf mehr Leistung. Etwa auf 4000 m.ü.M. setzte er den Filter wieder ein, der Unterschied war frappant. Als Sams Maschine nur noch mit dreissig bis fünfzig Kilometern pro Stunde unterwegs war, begann ich ihn zu stossen, nicht ganz gleich einfach wie vor vierzig Jahren, als ich auf der Schneppertour ins Tessin diverse Puchs die Pässe hochschob… Aber ich brachte ihn hoch bis fast 4400 m.ü.M.  Jetzt war die Steigung deutlich weniger steil, und wenn es gar ein Stück abwärts ging, kamen wir ganz gut voran, aber wenn es nur etwas aufwärts ging, war mein rechtes Vorderbein wieder gefragt, um den nächsten Kulminationspunkt zu erreichen.

Beim trostlos trockenen, sandig-steinigen Aufstieg verliessen wir die Atacama-Wüste Richtung Südosten. Das Land ist auch auf grosser Höhe äusserst mineralienreich, weshalb die Verbindungsstrasse lange Zeit geteert und sehr gut befahrbar war. Das änderte sich vor einer weiteren Mine (Ujina), als wir uns nach dem Abzweiger für den Normalverkehr plötzlich auf einer schmalen Schotterpiste bewegten. Dies war nun definitiv zu viel für Sams Maschine. Irgendwie hatte ich das Gefühl heute, dass er es richtiggehend anlegt, seine Honda zu überstrapazieren. Aber ein Mittel hatten wir noch in petto, nämlich den Luftfilter zu reinigen. Und tatsächlich brachte die Honda jetzt wieder etwas mehr Leistung, wir kamen problemlos über einen 4400 m.ü.M. hohen Pass. Hier stiessen wir überraschend auf eine aufgegebene Eisenbahnstrecke und eine kleine Station mit eingefallenen Ziegelhäusern. Das Abendlicht hatten wir jetzt im Rücken, sodass die Abfahrt zu einem Gedicht wurde. Wir entdeckten einen Fahrweg,  auf den 6130 m.ü.M. hoch gelegenen Volcán Aucanquilcha, zumindest bis auf halbe Höhe (die wohl auch schon über 5000 m.ü.M. liegt). Vielleicht könnte das morgen ein ganz spezieller Ausflug werden…

Jetzt galt es aber, möglichst viel Höhe zu verlieren, denn je höher, desto kälter und umso weniger Luft. Die Abfahrt war äusserst ruppig, Sam einmal mehr zu schnell, sodass es ihn grausam überstellte. Rippenprellung, aber weiter nichts geschehen.

Wir befinden uns jetzt in einer kleinen, sandigen Schlucht. Das Feuer brennt auch auf 3750 m.ü.M. hervorragend. Die Wärme wird von den Felsen zurück zu uns geworfen. Wir sind satt, natürlich wissen wir, dass wir hier oben besser auf Pasta verzichten. Kartoffeln, Quinoa, Gemüse, etwas Wein, jetzt  Coca-Tee, der gut wirksam sein soll gegen die Höhenkrankheit. Es dürfte sehr kalt werden in der Nacht, ich bin gespannt, wie ich schlafen werde.

Wir sind wieder im Hochland, das Abenteuer hat uns wieder, die unwirklichen Landschaften begeistern uns. Nur noch wenige Kilometer trennen uns von Bolivien.

Km: 71‘178 (222)

Mo, 01.05.2017: Ein Tag am Aucanquilcha

Das Wasser in unserem Tank war heute Morgen gefroren, es war bitterkalt mit etlichen Minusgraden. Gleichwohl stand ich schon um halb acht Uhr auf, wärmte mich am Feuer auf, backte Brot. Eigentlich wollten wir heute Morgen etwas früher unterwegs sein, aber auch heute blieb Sams Honda nicht pannenfrei – der Tacho funktionierte nicht mehr, war eingefroren und musste frisch gefettet werden.

Vorbei an einem weiteren Salzsee erreichten wir Ollaguë, angeschlossen an eine funktionierende Eisenbahnlinie auf 3700 m.ü.M. Wir deckten uns hier mit Wasser ein und machten uns auf den Weg zu den Schwefelminen von Aucanquilcha, die aber längst nicht mehr ausgebeutet werden. Eine rostige Seilbahn erinnert an bessere Zeiten, als aus der Mine auf 5500 m.ü.M. genügend Schwefel abgebaut wurde, dass daraus ein lohnendes Geschäft wurde.

Während sich Sam vor allem für die Mine interessierte, faszinierte mich der 6130 m.ü.M. hohe Volcán Aucanquilcha, den ich am liebsten erklommen hätte. Die erste grosse Herausforderung war der Fahrweg hoch Richtung Berg, der vor allem auf den unteren Partien mehr einem ausgetrockneten und ausgewaschenen Fluss glich denn einer Strasse. Auf 5000 m.ü.M. wurden wir überrascht durch das Basecamp chilenischer Berggänger. Überraschenderweise schaffte Sams Honda diese Höhe. Jetzt nahm er wieder den Luftfilter heraus, sodass wir nochmals 150 Höhenmeter per Motor machen konnten. Eine steile, steinige Stelle zwang uns aber anzuhalten und die nächsten Höhenmeter zu Fuss zurückzulegen. Es war ein überaus beschwerliches Aufsteigen, aber nach einer Stunde hatten wir die marode und zum grössten Teil zusammengefallene Zwischenstation der Schwefelbahn erreicht. Erst nach zwei Uhr war ich entlang der rostigen Bahnmasten alleine unterwegs Richtung Gipfel. Eigentlich hoffte ich, wenigstens meinen Höhenrekord zu brechen und 5700 m zu erreichen, ich fühlte mich auch erstaunlich fit, aber die Zeit war zu knapp, um dieses Ziel zu erreichen. Tatsächlich wurmte es mich schon, nicht früher hier gewesen zu sein, denn der Aufstieg zu diesem Sechstausender schien machbar, auch wenn es eisig kalt war. Schade, dass wir die vorhanden Fahrwege bis 5500 m.ü.M. nicht nutzen konnten. Ich erreichte den vierten Rostmasten nach der Mittelstation auf 5429 m.ü.M. Sam fand in der Mittelstation sein Schlosserparadies und interessierte sich für die alte Technik. Riesige Räder liegen versunken im Sand oder im Eis, alte Schwefelkarren hängen schräg vor sich hinrostend in der unterdessen offenen Station.

Gemeinsam traten wir den Rückweg zu unseren Motorrädern an. Unterdessen spürte ich die Strapazen des Aufstiegs und die Kraft der Höhensonne, ich war todmüde und hatte etwas Kopfschmerzen, also höchste Zeit, wieder etwas Höhe zu verlieren. Aber auch die Abfahrt war nicht einfach, aber mit der Aussicht auf ferne Salars zauberhaft. Die Fahrt wurde unterbrochen durch zwei extrem gut getarnte Andenhasen oder Chinchillas (?), eigenartig grün-orange-braun gefärbt. Sie waren mit der Kamera in der gleichfarbenen Landschaft mit der Kamera fast nicht zu finden (sie heissen übrigens Viscacha). Wir wollten in einer Geisterstadt übernachten, nächtigen jetzt aber bei der Talstation, die zur Bahn gehört, die uns schon den ganzen Tag beschäftigt hat. Unterdessen habe ich die Idee verworfen, morgen früh aufzustehen und diesen Sechstausender zu bezwingen, der Tag hat mich zu sehr geschlaucht.

Wir befinden uns noch immer auf 3950 m.ü.M. – eine weitere eisige Nacht dürfte uns erwarten. Wenigstens konnten wir uns an einem kleinen Feuer wärmen, über dem wir auch kochten. Es ist noch nicht einmal zehn Uhr, der Körper dürstet nach Erholung, aber mir wäre egal, wenn die Nacht schon geschafft wäre…

Km: 71‘234 (56)

Di, 02.05.2017: Die Salars von Bolivien

Vielleicht lief Sams Honda heute ohne Murren, weil wir momentan an der Laguna Honda in Bolivien auf 4118 m.ü.M. campieren, ein zauberhaft unwirklicher Ort zwischen schneebespitzten Fünf- und Sechstausendern. Aber die überaus schöne Szenerie hat auch eine Kehrseite, denn schon um halb zehn Uhr ist die Temperatur deutlich unter den Gefrierpunkt gesunken. Ich habe den Wassercontainer ins Zelt genommen, ebenso den vorbereiteten Brotteig. Dass wir so lange im Freien ausgeharrt haben, ist alleine dem wundersam gefundenen Holz zuzuschreiben. Eigentlich wächst hier oben fast nichts mehr, die gelben Grasbüschel scheinen schon gelb auf die Welt zu kommen. Aber exakt an diesem grau-blauen See fanden wir am Ufer einige Büsche, davon einige offenbar seit längerer Zeit abgestorben. Ein Fusstritt, und die Wurzel dieser Büsche bricht und lässt sich mit dem dürren Reisig aus dem staubigen Untergrund zerren.

Natürlich war schon die letzte Nacht eiskalt. Es ist kein angenehmes Schlafen so dicht eingemummt mit sämtlichen zur Verfügung stehenden Textilien über einem, die aber die Kälte abhalten und im Schlafsack drin eine Oase der Wärme entstehen lässt. Allerdings scheinen körperliche Ausscheidungen in dieser Wärme umso mehr zu gären, kein Wunder, wenn man seit Tagen keine Dusche mehr gesehen hat.

Die Sonne am Morgen war ein Quell der Freude und vor allem der Wärme. Nach dem Frühstück hatte wir Ollaguë bald erreicht, deckten uns mit neuem, allerdings stark chloriertem Wasser ein, fanden einen Hinterhof, wo man uns 35 Liter Benzin verkaufte, allerdings zum doppelten Preis (1 Liter = 2.30 Fr.), aber jetzt waren wir fit für den Grenzübertritt nach Bolivien. Die Grenzformalitäten waren schnell erledigt, beim bolivianischen Zoll zahlten wir für das Einchecken des Fahrzeuges je 15 BS (Fr. 2.20). Ich war fasziniert von an der Grenze stehenden, alten Eisenbahnwagen. Jetzt ging es endlich los auf Boliviens Schotterpisten, zuerst erstaunlich schnell, weil gut ausgebaut. Erst bei der Abzweigung Richtung Laguna Cañepa wurde der Fahrweg sandig und steinig, zudem war einiges an Höhendifferenz zu überwinden. Wir merkten bald, dass wir in einer der wichtigsten Touristenregionen Boliviens gelandet waren, denn sofort begegneten wir gleich mehreren Tour-Jeeps. Die Laguna Cañepa war gleichwohl sehr faszinierend, weil im dunkelblauen Lagunenwasser Dutzende von Flamingo auf der Suche nach etwas etwas Essbaren waren.

Wir fuhren nach der Mittagsrast weiter Richtung Süden zu weiteren Lagunen. An der Laguna Hedionda mit seinen vielen Flamingo gab es gar ein Eco-Resort. Wir waren jetzt bereits auf der Suche nach einem Lagerplatz, fuhren mitunter querfeldein über Stock und Stein an den Rand weiterer Lagunen, der Laguna Chiar Kkota (Laguna Negra), allesamt gelegen in zauberhafter Umgebung. Aber erst bei der Laguna Honda machten wir dann wirklich Halt. Wir haben diesen Salzsee ganz für uns. Am Abend passierten noch zwei Jeeps, aber wer will schon hier übernachten? Eine solche Kälte tut sich nicht jeder an…

Km: 71‘318 (84)

Mi, 03.05.2017: Seegfrörni

Es war wohl die rekordkälteste Nacht meiner ganzen Reise. Ich konnte meinen Körper mit dem Selbstverpackungs-trick gerade noch knapp einigermassen warm halten, aber die Minusgrad im zweistelligen Bereich liessen meine Füsse nie richtig verwarmen. Jedes Drehen auf die andere Körperseite war ein nächtliches Grossunterfangen, weil ich verhindern wollte, dass die sich ausgeklügelt über dem Schlafsack zusammengestellten Kleidungsstücke verschieben und der eisigen Luft Zugang zu meinen Nieren verschaffen.

Es war ein freudiges Ereignis, als es allmählich hell wurde und sich ein weiterer wolkenloser Tag ankündigte. Das Aufstehen bei Minusgraden ist jedoch ein unangenehmes Erlebnis. Aber ich war dann schon überrascht, als ich sah, dass der Salzsee vor meinem Zelt zugefroren war. Ich hatte den Wassercontainer und auch den Brotteig mit ins Zelt genommen, aber gleichwohl war beides fest gefroren. Bald war ein Feuer gemacht, und die aufgehende Sonne liess die Temperaturen glücklicherweise im Sauseschritt emporklettern.

Wir wollten heute unseren Lagunentrip fortsetzen und waren bald unterwegs auf einer der vielen Spuren, die durch die weiten Täler führen. Dank maps me fanden wir auch den Passübergang Richtung Laguna Cachi, allerdings war der Fahrweg eine Herausforderung mit vielen sandigen Abschnitten oder üblem Wellblech. Wir waren überrascht, plötzlich auf 4700 m.ü.M. zu sein. Bei der Laguna Cachi fanden wir viele verlassene Steinruinen, manchmal standen nur noch die Grundmauern, aber auch einen eigenartigen, gemauerten Turm, der vielleicht einmal dazu verwendet wurde, irgendwelches Erz aus dem Gestein zu gewinnen. Weil die Wege auch die nächsten Kilometer kaum besser wurden, kamen wir nur langsam vorwärts. Wir nahmen den Umweg über Villa Alota, wo wir bei einer kleinen Laguna lunchten. Dann führte eine einigermassen gute Schotterpiste nach Julaca, an den Rand des riesigen Salar Uyuni. Hier deckten wir uns mit Bier ein. Kurz bevor wir auf den topfebenen, schneeweissen, riesigen Salzsee abbogen, packten wir unsere Motorräder voll mit Holz, denn wir erwarteten nicht, dass wir auf Isla Incahuasi Holz für ein Feuer finden würden.

Die 50 km Fahrt über den schneeweissen wurde zu einem Erlebnis der besonderen Art, denn man hatte sich nicht an einen vorgegebenen Weg zu halten, sondern konnte sich selber eine x-beliebige Spur aussuchen. Ich wähnte mich auf einem riesigen gefrorenen See mit dem Unterschied, dass dieser überhaupt nicht glitschig ist, sondern griffig und topfeben war. Dieses Feeling hatte ich wohl schon einmal erlebt, vor 54 Jahren an der Seegfrörni. Sam schien dreihundert Meter neben mir wie über den See zu schweben. Was für ein schräges Bild! Wir erreichten die Salzseeinsel kurz vor Sonnenuntergang. Natürlich hatte es viele Touristen an diesem speziellen, von riesigen Kakteen bewachsenen Ort, die alle per Pauschaltour hierher gekommen waren.

Nach dem Sonnenuntergang fuhren wir weiter bis an das Nordende der Insel, wo wir einem deutschen Radfahrer Gesellschaft leisteten. Unsere Zelte stellten wir auf dem lupenreinen Salzsee auf. Bald war ein Feuer gemacht, eine Suppe gekocht, ein weiteres Bier getrunken, viel diskutiert mit dem Deutschen, als erst um halb zehn Uhr zwei Parkwächter erschienen, die uns befahlen, das Feuer zu löschen! Aber wie? Zudem sei es gefährlich, auf dem Salzsee zu campieren, weil am Morgen viele Touristenfahrzeuge erwartet würden. Schliesslich wurden wir gezwungen, unsere Zelte abzubrechen, und man brachte tatsächlich Wasser, um die letzten Reste Glut zu löschen. Immerhin wurde uns ein Refugio angeboten, ein leicht geheiztes Zimmer, wo wir jetzt auf unseren Matten die Nacht verbringen werden. 10 Bolivianos (1.50 Fr.) kostet der Spass. Ob wir morgen wirklich den Touristen auf den höchsten Punkt der Insel folgen werden, ist fraglich. Aber Tatsache ist, dass es je länger desto schwieriger ist, touristische Sehenswürdigkeiten zu besuchen und dies ganz normal zu tun. Der übliche Weg ist nicht der spannende…

Km: 71‘569 (251)

Do, 04.05.2017: Salar de Uyuni

Es war ein eigenartiges Treiben in der dunkel-eisigen Kälte des Isla Incahuasi, denn als ich schlotternd nur mit Unterhosen bekleidet die Toilette aufsuchte, waren bereits die ersten Landcruiser eingetroffen mit sonnenaufgangsgeilen Touristen, die geduldig warteten, bis ihnen ein teures Ticket verkauft wurde. Ich zog es vor, nochmals im warmen Schlafsack zu verschwinden, hatte durch die Fensterfront unserer Absteige aber beste Sicht auf weitere Neuankömmlinge, die frierend auf das Erscheinen der Sonne warteten. Natürlich wurden die vielen Leute nach der grossen Action mit einem Frühstück verwöhnt. Genau zu dieser Zeit machten wir uns bereit für die Abfahrt und waren froh, dem Trubel entkommen zu sein.

Unser einfaches Frühstück nahmen wir an der Stelle ein, wo wir letzte Nacht unsere Zelte abbrechen mussten. Der deutsche Radfahrer war gerade dabei, sein Material zusammenzupacken, um bald die 90 km lange Salzsee-Fahrt unter die Räder zu nehmen. Ich wagte es – auch ohne Eintrittsticket, den nördlichen Teil der Isla etwas zu erkunden. Vor allem faszinierten mich die gewaltigen Kakteen, die vor dem gleissend weissen Hintergrund des Salars besonders gut zur Geltung kommen.

Bald waren auch wir unterwegs Richtung Uyuni über den topfebenen Salzsee. Eine weitere Schicht von Salz lagerte sich an den unmöglichsten Orten des Motorrades ab, wohl nicht wirklich zur Freude dessen. Nach zwanzig Kilometern machten wir einen Halt mitten auf der weiten Salzfläche. Ein solcher lädt einen geradezu ein, besondere Fotogemälde zu schiessen.

Trotz des Sonnenscheins war es auf diesem riesigen See noch immer kalt, aber es war ein grosser Spass, ohne Grenzen und Regeln über das Salz zu brettern. Je näher wir Uyuni kamen, desto mehr Löcher von verschiedener Grösse traten im Salz auf, etwas mehr Aufmerksamkeit war gefragt.

Uyuni erreichten wir schon am frühen Nachmittag, wir checkten im Marjor Hostal in einem ungeheizten Zimmer ein (120 Bolivianos). Im Innenhof war es wegen des Sonnenscheins herrlich mild, meine durchfrorenen Glieder dürsteten nach Wärme. Bald waren wir unterwegs in der überschaubaren, staubigen, etwas schmutzigen Stadt auf der Suche nach einem Schuhmacher, denn meine Motorradschuhe beginnen sich in ihre Einzelteile aufzulösen – wie viele andere Ausrüstungsgegenstände auch. Wir fanden tatsächlich einen, der wusste, wie man eine neue Sohle montiert.

Es war ein munterer Abend mit Vanessa, einer Freiburgerin, die einige Monate in Südamerika unterwegs ist. Wir fanden sogar ein geheiztes Restaurant und amüsierten uns über die Eingangstüre, deren Türfalle bei jedem neu eintretenden Gast zu Boden fiel.

Km: 71‘672 (103)

Fr, 05.05.2017: Ölwechsel mitten auf der Strasse

Die Kälte geht mir allmählich auf den Wecker, meine zum Trocknen aufgehängte Kappe war am Morgen steif gefroren, vor allem der Bommel, der sein Eis bis in den Nachmittag bewahrte. Ich war auch sonst nicht besonders gut gelaunt, weil ich wegen Atemproblemen wieder einmal ziemlich schlecht geschlafen hatte.

Als erstes wollte ich mich heute Morgen meiner Maschine widmen. Ich hatte schnell herausgefunden, wo man Autos oder Motorräder reinigt. Gleich schichtweise wurde das Salz von meiner Maschine gespült. Dann wurde sie eingeseift und mit dem unteren Teil eines alten Besens geputzt, aber nur sehr oberflächlich, aber wenigstens war der grösste Teil des Salzes weg. Sam verzichtete auf diesen Dienst an seiner Maschine, weil er morgen nochmals auf den Salar fahren und dort übernachten will. Dies kann mir definitiv gestohlen bleiben, deshalb werden sich unsere Reisewege für kurze Zeit trennen.

Die Yamaha war jetzt genug sauber, damit man einen Ölwechsel vornehmen konnte. Deshalb fuhr ich zu einem nahen Töffgeschäft, wo nur billige koreanische und chinesische Bikes verkauft werden. Der Besitzer, ein Peruaner, hat von Motorrädern noch weniger Ahnung als ich. Weil sein chaotischer Laden noch im Schatten lag, nahmen wir den Ölwechsel mitten auf der Strasse vor (!), auch der Ölfilter, den ich noch dabei hatte, wurde gewechselt. Anschliessend wechselte ich den Luftfilter aus (der alte war braun von Schmutz und Staub) und schmierte wieder einmal die Kette. Dann reinigte ich meine beiden Koffer, Reorganisation war angesagt.

Am Nachmittag spazierte ich zusammen mit Samuel zum zweieinhalb Kilometer ausserhalb von Uyuni gelegenen Zugsfriedhof. Ein bizarres Bild, wie hier konzentriert an einer Stelle alte, zerbeulte, rostige Eisenbahnwagen, mitunter neu verziert mit Graffitis kreuz und quer in der Landschaft liegen. Gleich mehrere ausgediente, alte Dampflokomotiven, deren Räder bis zur Mitte im Staub versunken sind, laden ein zum Erklimmen oder für Lokomotivführerspiele. Warum dieser ganze Schrott nur gerade hier gelagert wird? Eine Gruppe Einheimischer hielt uns eine Zeitlang auf, die etwas billig aussehende, übergewichtige Tochter hätte einen von uns am liebsten geheiratet und zehn Kinder produziert. Lässt sich mit unserem momentan Lebensstil leider nicht vereinbaren.

Zurück in der Stadt versorgten wir uns auf einem Markt mit neuen Vorräten für die nächsten Tage. Ich benötige weniger, weil ich schon morgen nach Potosí, einer auf über 4000 m.ü.M. gelegenen Grossstadt fahren werde. In Bolivien hat es offensichtlich viel mehr Indios als in Chile oder Argentinien. Die rabenschwarzen Haare der Frauen sind häufig zu Zöpfen geflochten, zudem tragen sie eine Art weit geschnittenen Rock, von dem man nicht weiss, ob er wirklich so speziell geschnitten ist oder ob Bolivianerinnen grundsätzlich so gebaut sind. Aber es ist ein hartes Leben in dieser unwirtlichen Gegend, in der es des Nachts so bitter kalt wird und des Tags die Sonne so gefährlich stark scheint, dass man sich im Nu die Rübe verbrennt. Aber die Frauen und Männer stehen den ganzen Tag lang an ihren Verkaufsständen, eigentlich verkaufen alle genau dieselben Artikel, wie kann man nur das ganze Leben lang eine solch beissende Kälte ertragen und vor allem mit den wenigen Einkünften überleben?

Am Abend besuchte ich mit Sam und Vanessa einen der vielen Essensstände im Marktgebäude. Ich ass eine Suppe für weniger als einen Franken. All die Stände werben mit denselben Plakaten und Menus, ein riesiges Plakat des Gesundheitsministeriums weist darauf hin, wie wichtig Sauberkeit auf dem Markt ist, um Krankheiten vorzubeugen. Die Kälte trieb uns aber bald zurück zur Touristenmeile, wo ich eine ausgezeichnete, kleine Pizza ass. Der Raum war einigermassen geheizt, deshalb ein Bier angesagt. Wiederum amüsierten wir uns über die Türe, diesmal eine aus Glas, die sich manchmal selber öffnet und der Kältefratze Einlass gewährt. Häufig waren es aber einfach rücksichtslose Touristen mit der Einstellung „Nach mir die Sintflut“, die sich scherten, die Türe zu schliessen.

Uyuni ist kein Ort zum Bleiben, morgen ist es höchste Zeit weiterzureisen. Spannend wird sein, wie es sich anfühlt, wieder einmal alleine unterwegs zu sein.

Km: 71‘675 (3)

Sa, 06.05.2017: Lebendiges Potosí

Der über 4700 m.ü.M. gelegene Cerro Rico, übersetzt „reicher Berg“, ist in der Nacht den Gräten entlang bis zum Gipfel beleuchtet. Dieser Berg fällt in der Umgebung schon durch seine andere Farbe auf, orange-braun-rot bis weiss. Unverkennbar werden an diesem Berg seit bald fünf Jahrhunderten Mineralien abgebaut. Die spanischen Conquistadores haben in diesem Berg so viel Silber gefunden, dass hier in Potosí, gelegen in karger und kalter Umgebung auf 4000 m.ü.M., eine Stadt mit 200‘000 Einwohnern gewachsen ist, lange Zeit die grösste und blühendste der beiden Amerikas. Das spanische Königreich wurde während vier Jahrhunderten mit so viel Silber versorgt, dass man sagt, dass man von hier nach Cadiz in Spanien eine silberne Brücke hätte bauen können, brauchbar für weitere Silbertransporte.

Die Stadt wurde schon 1545 gegründet, nachdem laut der Legende ein Inka-Häuptling auf der Suche nach einem Lama an diesem Berg ein grosses Feuer entfacht hat, sodass sich Silber aus dem Gestein gelöst hat. Dies blieb den spanischen Kolonialisten nicht lange verborgen. Immer mehr Sklaven, sogar solche aus Afrika, wurden nach Potosí gebracht, die gezwungen wurden, in den immer grösser werdenden Minen zu arbeiten. Um möglichst viel Silber aus dem Erz zu gewinnen, verwendete man hoch giftiges Quecksilber. Die entstehenden Dämpfe verursachen bei den Minenarbeitern spätestens innert zehn Jahren die schwere Lungenkrankheit Silicosis pneumonia. Mindestens acht Millionen von indigenen und afrikanischen Zwangsarbeitern verloren so ihr Leben.

Nachdem die Silbervorkommen erschöpft waren, rutschte die Stadt in Armut, nur noch die vielen grandiosen Kirchen und Plätze erinnerten an die Zeit des Booms. Nur noch 10‘000 Menschen lebten hier oben. Erst als man begann, andere Metalle wie Zinn, Blei und Zink abzubauen, erholte sich die Stadt – heute leben wieder 190‘000 Menschen hier oben.

Als ich am späteren Nachmittag zum ersten Mal einen Blick auf diese Stadt werfen konnte, wurde ich überrascht, denn ich erwartete, über einen Pass von oben auf die Stadt sehen zu können. Aber es war genau umgekehrt, ich kam von unten, das alte Stadtzentrum mit vielen verwinkelten Gassen mit vielen alten Gebäuden mit Erkern (!) aus der Kolonialzeit musste zuerst erklommen werden. Ich fuhr geradewegs in ein Verkehrschaos, denn in den engen Gassen waren viele Gruppen unterwegs mit ihren Blasinstrumenten, um den Geburtstag der bolivianischen Musikschule (!) zu feiern. Exakt auf dem Weg zum meinem geplanten Hostal Vicuña ging der Umzug durch, sodass ich mich in diesen eingliedern musste, sodass mir zugewunken wurde. Was für ein Empfang! Im Hostal bezog ich ein Bett in einem Dorm-Zimmer für 60 BS (9 Fr.) plus 20 BS für den geschützten Parkplatz.

Ich war offensichtlich genau am richtigen Tag in dieser Stadt angekommen, denn die Lebendigkeit sollte sich noch steigern. Zuerst fand ich im 4.060 (Höhe über Meer des Restaurants…) einen geheizten Platz, wo ich ein argentinisches Steak ass, ganz gut. Als ich durch die Gassen zurück zum Hostel flanierte, standen an den Strassenrändern schon Hunderte von Einheimischen. Alte Frauen verkauften Schweinskopf-Kebab, Hamburger oder bolivianische Kleinpizzas. Ich eilte schnell zum Hostel, um mich noch besser gegen die Kälte zu schützen, und schon war ich wieder auf der Gasse und wurde Zeuge eines riesigen Volksfestes mit vielen halbprofessionellen Blasmusik-Gruppen, die meist eher wie Guggenmusigen tönten. Pichincha-Gruppen waren unterwegs, Angehörige irgendeiner grossen bolivianischen Musikschule (?), mit allen Arten von Blasinstrumenten oder mit Sprechchören die Tausenden von Zuschauern unterhaltend. Mitten im Volk wurde bei der grossen, beeindruckenden Kathedrale immer wieder Feuerwerk gezündet. Ich versuchte, mich mit dem Volk zu bewegen, das immer wieder chaotisch dem Umzug den Weg versperrte, schliesslich dann aber doch Platz machte. Bei der Kathedrale war das Gedränge am grössten, ebenfalls die Menschenmenge. Kreti und Pleti schien sich aufgemacht zu haben in das Zentrum der Altstadt, es war nicht mehr daran zu denken, die Umzugsstrasse zu überqueren. Ich war lange unterwegs in dieser grossen Menschenmenge, bis sich um halb elf Uhr der Umzug auflöste und ich die Möglichkeit fand, den Rückweg anzutreten. Was für ein Leben in dieser Stadt! Irgendwie kann man noch immer spüren, wie es sich während der Blütezeit hier oben ganz gut hat leben lassen, zumindest für jene, die das meiste Kapital aus der Silberernte gemacht haben.

Sam verliess heute Morgen Uyuni schon etwas vor mir, wie abgemacht trennen sich unsere Wege für eine Weile. Während er die nächste Nacht auf dem grossen, eisgekühlten Salar übernachten will und dann eine Runde im Norden des Salzsees machen will, folgte ich der geteerten, ausgezeichnet ausgebauten Hauptstrasse nach Potosí. Die Strecke war kurvenreich und kurzweilig. Nach einem Abschnitt mit offensichtlich mineralienreichen, vielfarbigen, verwitterten Hügeln, wo ich viele Menschen zu Fuss mit einer Schaufel bewaffnet auf der Strasse gehen sah, wohl auf dem Weg, irgendwelche Mineralien abzubauen, senkte sich die Strasse ab auf unter 3500 m.ü.M. Ich passierte kleine Oasen mit Pappeln und gar kleinen Bächen, vor allem aber immer wieder Hunderten von Lamas, die das spärliche, saftige Gras genossen. Ich traf auf einen argentinischen Motorradfahrer und gleichzeitig einen englischen Radfahrer, mit denen ich eine Weile schwatzte. Vorbei an immer häufiger auftretenden Kaktus-Hängen erreichte ich einen trockenen, aus Steinen erstellten Minenort, gut getarnt in der trockenen Landschaft. Die Einfahrt nach Potosí war weniger chaotisch als erwartet, vorerst wenigstens, bis mich vorübergehend der Blasmusik-Umzug stoppte…

Km: 71‘891 (216)

So, 07.05.2017: Casa Nacional de la Moneda

Ich schlief erstaunlich gut diese Nacht und fühlte mich am Morgen recht wohl. Nach dem Frühstück war ich schon unterwegs zum Casa Nacional de la Moneda, einer riesigen Festung mit meterdicken Mauern mitten im Stadtzentrum, wo ich an einer Führung teilnehmen wollte.

In Potosí wurden seit dem 16. Jahrhundert aus dem gewonnenen Silber Münzen geprägt. Weltweit die erste Währung entstand hier in diesem zwischen 1753 und 1773 entstandenen, gewaltigen Gebäude. Empfangen wird man mit einem schönen Brunnen, nicht selbstverständlich hier oben und einer freakigen Maske von Bacchus, dessen Sinne wohl nur dem Urheber, dem Franzosen Moulon klar ist. Sehr anschaulich wurde einem die Geschichte des Münzprägens erklärt, wie irgendwann Maschinen aus Europa importiert wurden, angetrieben durch Maultiere und Menschen (!), später durch eine 20-PS-Riesenmaschine. Sehr interessant ist, dass das Dollarzeichen ($) auf die Geldproduktion Potosís zurückgeht, denn auf den hier produzierten Münzen sind alle Buchstaben der Stadt übereinandergelegt, das S und I von Potosí haben das $-Zeichen ergeben.

Sehr interessant waren auch die von Indigenen hergestellten Gemälde, häufig kopiert von europäischen Künstlern. Das eindrücklichste ist wohl jenes des teuflischen, so viele Menschenleben kostende Abbildung des Berges, über dem Gott und Jesus steht und die wichtigsten Kardinäle abgebildet sind. Geld regiert die Religion.

Ich bin immer wieder erstaunt, wie mich nach einem abgeschlossenen Teil auch der nächste beinahe noch übermässiger fasziniert. Südamerika ist wohl tatsächlich noch viel stärker als all die asiatischen Länder zu spüren. Ich verbrachte deshalb logischerweise wieder viel Zeit mit dem Aussortieren der unzähligen entstandenen Fotos, die gleich bearbeitet und für den Blog Teil 33 vorbereitet wurden.

Am Abend diskutierte ich lange mit Alain, dem belgischen Radfahrer und einem französisch-mexikanischen Paar über unsere Reisen. Es wurde sehr spät, aber die Füsse waren unterdessen beinahe tiefgefroren, so dass ich schlecht einschlafen konnte.

 Km: 71‘891 (0)

Mo, 08.05.2017: Wenn es auch für mich grenzwertig wird

Auf den Tag zwei Jahre bin ich heute unterwegs, dies finde ich für mich keineswegs grenzwertig, aber es wird schon interessant sein, wie ich mich zu Hause dann wieder eingliedern kann. Tatsächlich denke ich etwas öfter als auch schon daran, wie es dort dann sein wird, wie ich es schaffen werde, mich wieder einzugliedern, den Sachzwängen zu unterstellen, einen Teil meiner unermesslichen Freiheit wieder zu verlieren, eine Arbeit zu finden. Aber ich freue mich gleichwohl auch darauf!

Dafür hatte ich heute eine Erfahrung, die mir meine Grenzen aufzeigte. Und dies geschah nicht ganz unerwartet. Ich hatte für heute eine Tour in die Katakomben des Cerro Rico gebucht. Um neun Uhr wurden Alain und ich abgeholt. Die Gruppe wurde komplettiert durch zwei Girls aus Singapore. Ich hatte mich warm ausgerüstet mit meinem kompletten Töffanzug, deshalb war es für mich nicht nötig, die bereitgestellte Spezialkleidung und Stiefel zu montieren. Nahe unserer Mine (es gibt deren zweihundert davon!) machten wir Halt bei einem kleinen Shop, wo wir einige Geschenke für die Minenarbeiter kauften – Cocablätter, die zusammen mit aromatisierter, gepresster Asche gekaut zusätzliche Energie geben sollen, fette, besonders starke Sonderzigaretten mit Zimt (den man allerdings kaum herausroch), 94-prozentigen, beinahe reinen Zuckerrohrschnaps, Süssgetränke.

Dann standen wir vor dem Eingang in diese eindrückliche Unterwelt, gleichsam dem Zutritt zur Hölle, und dies ist überhaupt nicht weit hergeholt. Wir folgten zwei Kilometer lang dem Grundlevel. Das mindestens zweihundert Jahre alte Loch ist mit schmalen Schienen ausgelegt. Immer wieder hatten wir auszuweichen und uns an die rauhe, staubige Höhlenwand zu pressen, wenn zwei Bergarbeiter ein Wägelchen voller Erz gegen den Ausgang schoben. Heute hält man Ausschau nach Zink, das mit ein paar Prozent Silber versetzt ist. Wer hier diesen lebensgefährlichen Job betreibt, hofft immer auf das grosse Glück, auf eine fette Silbermine zu stossen. Vorbei an vielen Verzweigungen und einigen schlammigen Stellen kamen wir an die Stelle, wo wir einen Stock höher aufsteigen wollten. Es gibt total sechs Etagen gegen oben und zehn gegen unten. Je weiter man in den Berg reingeht, desto wärmer wird es.

Ich merkte sehr schnell, dass der Gang gegen oben überaus eng wird. Schon nach kurzer Zeit packte mich der Stress. Klaustrophobie heisst das Wort, Platzangst, ein überaus bedrohliches, unerträgliches Gefühl, das dir den Schweiss aus der Stirn treibt. Wir hatten aufzusteigen, ich war wohlweislich als Letzter unterwegs, damit mir der Raum gegen hinten offen blieb. Ich realisierte auch, dass diese Angst auch etwas mit meiner Atemnot während der Nacht zu tun hat, zudem wurde es immer wärmer, alle drei Dinge kumulierten jetzt, und es gab kein Weiter mehr. Notfallmässig stieg ich wieder ab, bis ich mich in einer etwas weiteren Höhle etwas erholen konnte. Ich warf meine Jacke zur Seite, damit ich möglichst gut atmen konnte, und bald fühlte ich mich besser. Ich machte noch einen zweiten Versuch, die Steilheit machte mir weniger Sorgen als die Enge, und ich musste wieder kleinbei geben. Als ich zurückkehrte, war eine der Singapurerinnen am Wimmern, weil sie sich nicht traute, den steilen Fels abzusteigen. Da kam ich gerade recht, ich hatte sie schnell beruhigt und brachte sie die wenigen Meter hinab in die etwas grössere Höhle. Einzig Alain begleitete unseren Führer hoch zum ersten Level, wo er beobachten konnte, wie mit einem Presslufthammer Löcher in den Fels geschlagen werden, in die dann Dynamit gefüllt  wird und der Fels gesprengt wird. Es sei überaus eng gewesen, meinte Alain, womit ich gut daran tat, unten geblieben zu sein.

Wenige Zeit später stand mir die Möglichkeit offen, über drei Fünfmeterleitern in den dritten Level abzusteigen. Das Klettern macht mir ja überhaupt nichts aus, und glücklicherweise war der Gang unten genügend hoch, dass ich kaum in Stress geriet. Bald erreichten wir Viktor, der tatsächlich schon dreissig Jahre in den Minen arbeitet und damit beschäftigt war, mit einer Garette herausgesprengtes, zinkhaltiges Gestein zu einer Stelle zu transportieren, wo durch ein gewaltiges, senkrechtes Loch das potente Material nach oben gehievt werden kann, wo es dann mit Wägelchen ausserhalb des Berges gebracht wird. Auch hier war der Staubgehalt der Luft überaus hoch, gefährlich sind vor allem die kristallinen Silikate, die sich in der Lunge festsetzen und meist nach zehn bis fünfzehn Jahren zu Silicosis pneumonia führen, die schliesslich zum Tod führt. Gesprengt wird mit Dynamit und Quecksilber, kein Wunder, dass auch diese Gifte den Arbeitern konstant zusetzen. Vierzig von 15‘000 Bergarbeitern sterben pro Jahr, manchmal auch an Kohlenmonoxidvergiftungen, das Gas sammelt sich an manchen Stellen zuweilen.

Obwohl fast sämtliche Bolivianer Katholiken sind, beherrscht seit Jahrhunderten ein ganz besonderer Glaube das Leben unter Tag. Sobald man sich in den Berg bewegt, unterliegt man der Macht Tios, ursprünglich Dios, der aber genau das Gegenteil von Gott ist. Zusammen mit seiner Gemahlin Pachamama beherrscht er die Unterwelt. Die Kinder der beiden sind die verschiedenartigen Mineralien. Wir besuchten den Huldigungsort von Tio, der hier wahrhaftig mit Hörnern und einem erigierten Penis nachgebildet ist. Immer am Freitag versammeln sich die Bergarbeiter an diesem Ort, um dem Unterweltsgott zu huldigen, um unfallfrei zu bleiben, gute Minenadern zu finden. Dabei werden Tio Zigaretten gespendet, auch ganz Fläschchen Alkohols und Coca-Blätter. Anschliessend wird gefeiert, all die ungesunden Gifte im Übermass konsumiert, als ob es nicht schon genug wäre, die ganze Woche all den Giften des Berges ausgesetzt zu sein.

Natürlich kann man sich immer fragen, wie sinnvoll es ist, an einer solchen Veranstaltung teilzunehmen, quasi als Gaffer sich in die extrem harte Realität der Bergleute zu begeben. Aber dieses Leben gehört zu Potosí, ohne den Cerro Rico würde diese Stadt nicht existieren. Natürlich war ich tief beeindruckt, wenn nicht gar schockiert über die Zustände in den Löchern. Zudem war ich von oben bis unten mit Staub bedeckt. Zurück im Hostel nahm ich eine Dusche – was für ein angenehmes Leben ich führen kann!

Am Nachmittag besuchte ich zusammen mit Alain die neoklassizistische Kathedrale, entstanden im 19. Jahrhundert. Sehr reizvoll war die Sicht von einem der Türme mit dem alles überragenden, 4700 m.ü.M. hohen Mineralienberg, den vielen Kirchen und Klöstern und den verwinkelten Gassen dieser faszinierenden Stadt.

Km: 71‘891 (0)

Di, 09.05.2017: In der konstitutionellen Hauptstadt Sucre

Die Ausfahrt aus Potosí führt beinahe über den höchsten Punkt der Stadt, dann aber fast konstant leicht bergab. Je tiefer ich kam, desto mehr Vegetation hatte es, zuerst nur kleine Büsche, bald aber auch grössere Gruppen von Bäumen. Etwa 50 km vor der zweiten Hauptstadt Sucre führte die gut ausgebaute Strasse in eine Schlucht. Danach ging es aber nochmals etwas aufwärts.

1300 Höhenmeter tiefer zu sein ist klimatisch deutlich spürbar, es ist in dieser Stadt, man sagt, es sei der Stolz der Bolivianer, deutlich milder. Problemlos erreichte die das Hostal Kultur Berlin (!) und war überrascht, wie voll dieses Backpacker’s ist, vor allem bevölkert mit vielen jungen Leuten, die sich das Reisen in diesem preiswerten Land gut leisten können.

 

Eigentlich hätte ich heute an diesem Ort auch Samuel erwartet, aber er ist bis jetzt noch nicht eingetroffen. Ich fand Zeit, den ersten Teil des Blog Nr. 33 hochzuladen; dies war aber eine ziemliche Geburt, weil es in diesem Land kaum gutes Internet gibt. Schliesslich landete ich in einem Internet-Café und konnte dort sogar meine Reiseroute aktualisieren. Ich habe eben in einem thailändischen Restaurant (!) ausgezeichnet gegessen und bin jetzt in meinem Kulturlokal wieder eingetroffen – es ist die Hölle los, der Laden voll besetzt, es stinkt nach Barbecue, ich habe wenig Lust für oberflächliche Kontaktaufnahmen, zudem bin ich müde, aber es wird in meinem Dorm wohl eine lärmreiche Nacht geben…

Km: 72‘048 (157)

Mi, 10.05.2017: Das perfekte Hostel

Der Lärm kümmerte mich kein bisschen, ich schlief ein und erwachte erst mitten in der Nacht, als sich die Party längst beruhigt hatte. Der deutsche Manager macht in diesem Hostel vieles richtig. Erstens markiert er immer wieder zurückhaltende Präsenz, verbindet europäische Perfektion und Sauberkeit mit bolivianischer Lebenslust. Der Patio ist blitzsauber und lädt zum Verweilen ein. Die Kosten für ein Dorm-Bett sind tief (55 Bs = 7 Fr.), fast alle Betten sind deshalb besetzt, und die vielen jungen Leute finden hier einen Treffpunkt mit gutem Essen und den verschiedenartigsten Drinks, dazu lockt er die Leute mit einem hervorragenden Frühstück mit vielerlei tropischen Früchten in seinen Laden.

Ich erhielt am Morgen von Sam eine Mitteilung, dass er nach dem Mittag in Sucre eintreffen würde, und so war es auch. Das Wiedersehen musste gleich mit zwei Bieren begossen werden. Wir hatten von unseren verschiedenen Trips einiges zu erzählen, spazierten dann zur Zentralplaza für ein gutes bolivianisches Essen und weitere Biere. Unterdessen waren wir ziemlich parat für die Salsa-Nacht im Hostel. Der Mojito floss in Strömen, allerdings war ich dann doch zu bequem für Salsa, war aber ein ganz lustiger Abend.

Km: 72‘048 (0)

Do, 11.05.2017: Sucre wie Zucker

Sam kam heute wesentlich später in die Gänge, weil er gestern doch deutlich mehr über die Stränge geschlagen hatte als ich. Lange blieben wir im Hostel, bis wir endlich etwas aktiver wurden. Sam machte sich auf die Suche nach einem Schlauch für den Vorderreifen, ich flanierte durch die weiss getünchte Innenstadt Sucres.

Die Stadt mit ihrem kolonialen Flair scheint im Aufbruch zu sein und kam mir äusserst sympathisch herüber. An allen Ecken und Enden ist man auf Verschönerung bedacht, legt Trottoirs mit Platten aus, renoviert die alten Gebäude. Die meisten Gebäude sind blendend weiss. Ich besuchte zwei Kirchen aus dem Mittelalter, zuerst den Templo Nuestra Señora de la Merced aus dem Jahr 1540, noch nicht renoviert, im Innern mystisch düster, die Altäre blass-golden, aber strotzend von grosser Virtualität. Reizvoll war der Aufstieg aufs Dach mit einer schönen Aussicht auf die ganze Altstadt, die Kathedrale bei der Plaza 25 de Mayo und die engen, mit Leben gefüllten Gassen, die sehr an eine spanische Kleinstadt erinnern. Gleich gegenüber liegt der Convento de San Felipe Neri, ebenfalls klug konzipiert, weil das frisch renovierte Kloster, heute eine parochiale Schule, ebenfalls vom Dach und seinen Türmen aus fotografiert werden kann. Es erstaunt nicht, dass Sucre die weisse Stadt Amerikas genannt wird. Die Aussicht hier oben war wie Zucker, die kulturelle Vielfalt erstaunlich. Noch immer sind die durchgesessenen Steinsessel zu sehen, in denen früher die Mönche meditiert haben.

Der Rundgang durch die Altstadt war kurzweilig. Immer wieder passierte ich alle Arten von Schulen und Universitäten, in den Innenhöfen spielten die Jungs Fuss- oder Basketball, die Mädchen zogen in kleinen Gruppen über den Zentralplatz, kicherten und tuschelten. Zur Abendzeit war der Platz voller Menschen, und auch jetzt noch waren Menschen in den Gärten am Arbeiten, es wurde Erde verteilt, oder die Räsen bekamen Wasser. Wie früher ist der Platz der Lebensnerv der Menschen der Stadt.

Die Kultur am Abend im Berlin war diesmal auf mich zugeschnitten. Ich nahm an einem Pokerturnier teil mit Spielern aus zehn Nationen. Der nicht wenige geflossene Alkohol machte mich offenbar genug locker, sodass ich das Turnier nach mehreren Stunden cleveren Spiels tatsächlich gewinnen konnte. Die Preissumme war zwar nicht hoch (500 Bs), aber ich bin doch einigermassen stolz, als mit Abstand ältester Spieler das Turnier gewonnen zu haben. Erst spätnachts ging’s zu Bett, der Pegel war ziemlich hoch, und Pokern ohne Rauchen ist natürlich kaum möglich, wenigstens blieb es bei dreien, den ersten seit über einem Monat… Sucre ist wirklich Zucker!

Km: 72‘048 (0)

Fr, 12.05.2017: Bolivianische Freudentänze im Patio

Eigentlich war geplant, heute weiterzureisen, aber heute war ich es, der am Morgen etwas flach lag. Zwar beteiligte ich mich schon nach fünf Stunden Schlaf am reichhaltigen Frühstückbuffet, aber nachher legte ich mich nochmals hin auf eine Bank in der Patio, während Sam unsere Motorräder verschob – in einen ruhigen Innenhof, indem der das Lager seines Hinterrades ersetzte.

Am Nachmittag kam ich langsam in die Gänge und bereitete ein Word-Dokument vor mit allen Länderwappen meiner Reise, mit denen ich später den Tank meiner Yamaha schmücken möchte. Ich fand in der Stadt auch tatsächlich einen Laden, wo man mir die Kleber bis morgen produzieren kann. Auf dem Rückweg wunderte ich über den Motorenlärm nahe des Zentralplatzes. Da fand doch tatsächlich ein Autorennen in der Innenstadt statt, mit minimalen Sicherheitsvorkehrungen. Eine Kurve war mit Sandsäcken etwas gesichert, aber wenn gerade kein Auto in Sicht war, konnte man trotzdem die Rennstrecke unbehelligt überqueren. Südamerikanische Mentalität mit der so angenehmen Einstellung, dass es schon gut herauskommen wird. Die Menschen standen zu Hunderten am Strassenrand und verfolgten die laut röhrenden PWs, die wie Kanonen durch die Gassen rasten.

Nachdem wir im Napolitana eine Pizza mit Salat gegessen hatten, verfolgte ich in der Patio unseres Backpacker’s die wilden Tänze einer bolivianischen Tanzgruppe. Temperament und Freude war allen zwölf Tänzern während der ganzen sechzig Minuten Vorführung ins Gesicht geschrieben. Ich war nicht nur von den Tänzen begeistert, sondern auch von der bolivianischen, manchmal etwas melancholischen Musik. Dieser Augen- und Ohrenschmaus musste natürlich begossen werden, aber es wurde bei weitem nicht mehr so spät wie gestern.

Km: 72‘048 (0)

Sa, 13.05.2017: Grün und warm

Es war nicht so einfach, heute Morgen nach dem Frühstück unsere Maschinen startklar zu machen und vor allem aus Sucre wegzukommen, denn erstens mussten die Motorräder über eine dreistufige Treppe zum Ausgang gebracht werden, und zweitens waren die Strassen verstopft wegen eines Autorennens quer durch die Stadt.

Wir wollten zuerst zum Parque Cretacico fahren, wo die längsten Dinosaurierspuren der Welt zu bestaunen sind. Diese sind offenbar zum Vorschein gekommen beim Abbau von Sand und Kies. Die Spuren verlaufen fast senkrecht quer über die Wand. Eine Führung wollten wir uns nicht antun und begnügten uns mit einem Augenschein aus der Ferne, fuhren zurück in die Stadt in Richtung F6, wo wir zweieinhalb Stunden hätten warten müssen, weil die Strecke des Autorennens exakt hier vorbeiführte. So mussten wir doch die F5 Richtung Norden zu nehmen und mussten nochmals dieselbe Strecke zurückfahren.

Bald führte die Strecke bergab, und je tiefer wir kamen, desto grüner wurde die Landschaft, die aber nach wie vor trocken blieb. Wenn es aber regnet in der Region, scheint der Fluss im Nu zu einem reissenden Gewässer zu werden. Meist ist dieser talbreit, der Kies liegt weit und breit verstreut.  Neben riesigen Kakteen sah ich auch Palmen und Papaya-Bäume. Offenbar sind wir nahe der Tropen, und dies kommt uns gerade recht, denn uns dürstet nach Wärme. In Aiquile fuhren wir in Richtung Osten. Nach dreissig Kilometern war die Herrlichkeit der neuen, gebauten Strasse vorbei. Auf rauem Gravel kamen wir nur noch schwerlich voran.

Jetzt campieren wir im Red Canyon. Der Mond ist aufgegangen, der Verkehr hat endlich nachgelassen, die Landschaft wird nicht mehr mit Staubnebel verhüllt. Lange sind wir an einem Feuer gesessen und haben diskutiert. Vor allem geniessen wir die milde Wärme und die endlich wieder grüne Landschaft. Einige Hügel bei Aiquile mit ihrer dichten Bewaldung erschienen mir wie überproportionale Mooshaufen. Wir sind unterwegs nach Boliviens Tiefland, morgen dürfte es noch wärmer werden. Vorübergehend sind wir dem Winter entkommen.

Km: 72‘271 (223)

So, 14.05.2017: Staub fressen und endlich wieder tropischer Sound

Wieder haben wir lange am Feuer diskutiert, die am Nachmittag gekauften Zuckerrohr-Stücke grilliert, deren Zucker nach einiger Zeit caramelisierte, ganz lecker. Wir haben wie immer über dem Feuer gekocht, haben in La Palisada auf dem Markt ultrafrisches Gemüse gekauft, perfekt geeignet für eine gute Sauce für unsere Pasta (die auf dieser Meereshöhe wieder perfekt garen). Zum ersten Mal spüre ich einen Hauch von Tropen, es ist schwülwarm, obwohl wir uns noch immer auf 1200 m.ü.M. befinden, die Kälte hat sich verzogen, Mücken und kleine Stechfliegen versuchen, von dir eine Mahlzeit zu kriegen, weshalb ich mich mit langen Kleidern geschützt habe. Es rauscht ein Bächlein, Zikaden, Grillen oder andere Insekten sorgen für den typischen, tropisch-nächtlichen Lärm. Wir haben heute Nachmittag Schluchten durchfahren mit ersten tropischen Pflanzen, die Flüsse in den Tälern führen Wasser, das für Mais-, Zuckerrohr- oder diverse Gemüseplantagen genutzt wird. Das Land ist hier etwas dichter besiedelt, kein Wunder, Wasser bringt Nahrung und Einkünfte. Ich freue mich, zum ersten Mal die südamerikanischen Tropen kennen zu lernen – es dürfte nicht das letzte Mal sein.

Noch heute Morgen war alles staubtrocken, wir campierten inmitten von hohen Kakteen, die Bäume sind voller Dornen, von denen soviele am Boden herumliegen, dass sie sich immer wieder durch die Crocs in meine sensible Fusssohle bohren. Sam war damit beschäftigt, ein Video aufzunehmen, das er in Santa Cruz für eine Hochzeitsfeier nach Hause senden möchte. Ich machte mich in dieser Zeit auf einen Spaziergang Richtung Red Canyon, beobachtete einige Raubvögel, wie sie über dem trockenen, steinigen Land kreisen. Erst gegen Mittag schlauften wir uns wieder ein in die Staubpiste. Entgegenkommende Lastwagen wirbelten so viel Staub auf, dass man für einige Sekunden fast blind unterwegs war. Manchmal war der Bull Dust knöcheltief, dieser Staub ist so fein, dass er versucht, alle Ritzen des Motorrades oder meiner Kleider zu durchdringen. Am schlimmsten war aber, wenn man einen der recht vielen Lastwagen überholen wollte, weil einem durch den Staub die Sicht genommen war, sodass man auf einen Windstoss aus der richtigen Richtung hoffen musste, der den Staub etwas zu Seite bläst, um endlich überholen zu können.

Die Landschaft war dafür äusserst abwechslungsreich, vor allem als der Fluss im Tal plötzlich Wasser führte, sodass sich in der Talsohle Oasen bilden, natürlich vom Menschen genutzt, um etwas anzupflanzen. Schliesslich waren wir siebzig Kilometer auf dieser sich im Bau befindlichen Strecke unterwegs, und einmal mehr wunderte ich mich, wie vor allem in ärmeren Ländern beim Strassenbau der Gigantismus dominiert. Ganze Berge werden abgetragen, um eine möglichst gerade Streckenführung zu gewährleisten. Vor allem werden aber wohl noch Jahre vergehen, bis das grosse Werk mit einigen kleinen Passübergängen endlich vollendet ist. Weniger wäre wohl mehr!

Eine willkommene Abwechslung war eine Hängebrücke, die ich auf der anderen Talseite entdeckte. Wir waren genug frech, mit unseren schweren Maschinen über diese Brücke zu fahren – eine ziemliche wacklige Angelegenheit, die 2004 erstellte Brücke hielt dem Druck aber glücklicherweise stand.

Erst in La Palisada erreichten wir eine meist geteerte Strasse, allerdings durchsetzt mit Schlaglöchern, äusserste Konzentration war gefragt. Allmählich kamen wir den Wolken bedrohlich nah, die wir schon gestern über dem Amboro Nationalpark gesehen hatten. Dafür wurde die Vegetation immer mastiger. Lange waren wir auf der Suche nach einem geeigneten Lagerplatz. Immer suchen wir einen etwas versteckten Platz, dies war heute nicht so einfach, weil das fruchtbare Land für irgendwelche Pflanzungen verwendet wird, auf denen natürlich gearbeitet wird.

Aber schliesslich fanden wir recht früh doch einen versteckten Platz. Sam versuchte, den Vergaser für die niedrigeren Höhen wieder richtig einzustellen, danach wechselte er mir die Bremsbeläge, obwohl die alten noch gar nicht vollständig heruntergefahren sind. Aber meine Bremsscheibe sieht ziemlich mitgenommen aus und erhitzt sich während des Fahrens massiv. Dafür hat meine Maschine die wunderliche Eigenschaft entwickelt, immer weniger Benzin zu verbrauchen, es sind unterdessen deutlich unter vier Liter pro hundert Kilometer. Seit Sucre habe ich sechs Liter weniger Treibstoff verbraucht als Sam.

Ich beschäftigte mich bis zum Eindunkeln mit meinen in Sucre gedruckten Länderklebern, die ich jetzt in der richtigen Reihenfolge auf meinem Tank aufklebte, eine ziemlich farbige Angelegenheit. Das Kochen verschob sich dadurch um eine Weile.

Km: 72‘420 (149)

Mo, 15.05.2017: Schlamm im Regenwald

Szenenwechsel. Noch gestern wurde ich auf dem Bull-Dust-Strassen Boliviens dermassen eingenebelt, dass der Staub sich in Schichten auf der Jacke und unter meinem Helm abgelagert hat. Die verschwitzte Stirn fühlte sich an wie ein Kiesbett, und es war nicht ratsam, sich dort zu kratzen, weil damit bestimmt ein Staubkorn seinen Weg ins Auge gefunden hatte.

Schon in der Nacht hat sich eine grundlegende Veränderung angekündigt. Die saftig grüne Umgebung fordert ihren Tribut, und es war nicht verwunderlich, dass mein Zelt am Morgen tropfnass war, aber nicht vom Tau, sondern vom leichten Regen. Am Morgen war es aber wieder freundlich, sodass das Zelt bald trocken war. Wir waren schon aussergewöhnlich früh unterwegs. Noch dreissig Kilometer waren es bis Samaipata, einem Dorf mit Infrastruktur für Touristen, und dies aus zweierlei Gründen. Erstens lassen sich geführte Expeditionen in den tierreichen Amboro-Nationalpark organisieren, zweitens liegt auf einem Felsen unweit des Dorfes El Fuerte de Samaipata. Eine schmale Strasse führt  zu diesen alten Ruinen der Chanés (800 -1450 n. Chr.), der Guaranis (1300 -1450, der Inkas (1450-1550),  die hier oben auf über 1900 m.ü.M. gelebt haben. Als wir ankamen, schlichen die Nebel um die nahen Berge. Bald hatten wir zu Fuss den 220 m langen und 65 m breiten Felsen erreicht, der vollständig mit Sandsteinschnitzereien überdeckt ist. Man findet riesige Abbildungen von Tieren, geometrische Muster, Nischen, ein Kanalsystem. Es wurden hier Zeremonien abgehalten, die mystisch-magischen oder religiösen Zwecken dienten. Noch immer sind auch die Grundmauern des administrativen Zentrums zu erkennen. Viele Menschen haben hier oben gelebt, es gab Märkte, Wachttürme, landwirtschaftliches Land und militärische Lager, die später von den spanischen Eroberern ebenfalls genutzt wurden. Die Stätte ist UNESCO-Weltkulturerbe und ist grossartig gelegen auf einer Anhöhe zwischen fruchtbaren Tälern mit Sicht bis Samaipata.

Wir unterhielten uns lange mit einer Verkäuferin eines kleinen Ladens und einem Taxifahrer und sahen für kurze Zeit einen riesigen Condor, einen Raubvogel mit über drei Metern Spannweite. Unterdessen hüllte uns dichter Nebel ein, es begann zu regnen. Bald hellte es aber wieder auf, sodass wir losfahren konnten in Richtung Santa Cruz. Wir waren aber noch nicht weit ins Tal gefahren, als das Grün der Wälder an den Hängen verschwommen dunkelgrau schimmerte, ein untrügliches Zeichen, dass wir geradewegs in einen starken Schauer hineinfuhren. Genau so war es auch, sodass ich mich für Regen umrüsten musste, das heisst den grossen Rucksack in meinen Duschvorhang (!) verpacken und den Regenschutz montieren. Dies war ein weiser Entscheid, denn es sollte für die nächsten Stunden nicht mehr aufhören zu regnen. Wir durchquerten tiefe Täler und Schluchten, stiegen empor zu hohen Pässen – und je weiter wir fuhren, desto üppiger, feuchter und kräftiger wurde der Regenwald, der seinem Namen alle Ehre machte. Die Strasse glich zuweilen einem tiefen Schlammbad, durch das sich die Räder durchzupflügen hatten. Manchmal versank man in Reifendicke in der braungrauen Sauce. Im Nu sahen unsere Maschinen aus wie gemauert. Man hatte höllisch aufzupassen, denn neben dem Schlamm musste man auch tiefen Schlaglöchern ausweichen – und all dies mit eingeschränkter Sicht. Der gestrige Staub auf Visier und Anzug wurde flüssig und schmierig, und erst mit der Zeit wurden diese unangenehmen Partikel vom Nass des Regens weggeschwemmt.

Schliesslich erreichten wir die Ebene vor Santa Cruz. Auf Märkten wurden frisches, mastiges Gemüse und Millionen von Orangen oder Mandarinen angeboten. Die Aussicht war aber ungemütlich, weil die ganze Umgebung feucht-dreckig-schmierig erschien. Der Verkehr nahm jetzt zu. Im Stossverkehr kamen wir nur langsam vorwärts, aber wir schlängelten uns durch die immer wieder stehenden Autos. Noch mitten in der Stadt wurden wir durch schlammige Stellen und weite Schlaglöcher aufgehalten. Wir fuhren geradewegs La Jara an, ein Backpacker’s, wo wir ein Dorm für je 70 Bs. bezogen. Momentan versucht Sam, seine gestern aufgenommenen Videos per Internet zu versenden, aber das Internet ist auch hier zu schwach.

Es ist erstaunlich kühl hier in Santa Cruz, der Regen hat die tropische Hitze weggeschwemmt.

Km: 72‘583 (163)

Di, 16.05.2017: Bolivianer sehen nicht gut und mögen Tauben

Es blieb in Santa Cruz heute den ganzen Tag trocken, vor allem ich wollte in dieser Stadt heute einen Tag verbringen und sie etwas kennenlernen. Sam hatte schon in der Nacht geschafft, seine Hochzeitsvideos per Dropbox in die Schweiz zu übermitteln, sodass wir nach dem Frühstück gemeinsam in der Stadt unterwegs waren, zuerst zum lebendigen Zentralplatz, wo Kinder und Erwachsene dabei waren, die Hunderten (!) von Tauben mit Körnern zu füttern. Da standen Kinder auf dem Platz, die beinahe verschwanden inmitten dieser nicht erstaunlich fetten Vögel. Es war noch etwas grau vom gestrigen Regen, Bodensenkungen waren mit Wasser gefüllt, der Verkehr war dicht und aggressiv, man hatte achtzugeben, wenn man eine Strasse überqueren wollte. Wir beobachteten die flanierenden Einheimischen auf diesem Platz, assen Empanadas und spazierten danach zu einem Park mit einem Weiher, wo es noch mehr Tauben hatte, die gefüttert wurden. Einige Happen bekamen auch die fetten Fische, die in grossen Mengen im Teich schwammen.

Wie schon in Sucre war ich verwundert über die Dutzenden von Optikergeschäften, welche ihre Brillen anpriesen. Unmöglich, dass all diese Läden rentieren können. Der Rundgang durch die Stadt wurde etwas ausgedehnt. Seit Wochen versucht Sam, einen Imprägnierungsspray für sein Zelt zu finden (ich frage mich, ob das überhaupt etwas bringt). Wir besuchten einige wirklich sehenswerte Ramschläden, in denen Tausende von staubigen Artikeln verkauft werden, es schien hier nichts nicht zu geben – ausser Imprägnierungsspray…

Per maps me hatte Sam in seinem Handy einige Campingläden gespeichert. Deshalb benutzten wir aufs Geratewohl einen kleinen Bus, so niedrig gebaut, dass man darin nicht aufrecht stehen kann, der uns zufälliger- und glücklicherweise in die Nähe dieser Läden brachte. Zwar verkaufte man hier tatsächlich Zelte, aber natürlich keinen Spray dazu. Jetzt wurde es mir zu bunt, sodass ich mich zu Fuss auf den Rückweg machte, während Sam zum Multicenter fuhr, wo er tatsächlich eine Lotion fand, die imprägnieren soll…

Ich schmierte in dieser Zeit die Kette meines Töffs, trank ein Bier und kam ins Gespräch mit einem Brasilianer, der  mehr über meinen Trip wissen wollte. Mein Spanisch ist zwar unterdessen etwas besser, aber noch immer nicht genug gut, um ein vernünftiges Gespräch führen zu können.

Während eines Pouletessens in einem nahen Restaurant wurde eine etwas verwegene Idee geboren. Wir planten die nächsten Tage im bolivianischen Urwald und wollen dort am einem Flusstrip teilnehmen. Wir befinden uns am Rande des tropischen Amazonasgebietes. Stundenlang diskutierten wir, wie wir unabhängig die beinahe dreitausend Kilometer per Floss von Yurimaguas/Peru nach Manaus/Brasilien zurücklegen könnten. Die Diskussionen drehten sich vor allem darum, wie wir die Motorenleistung unserer Töffs nutzen könnten, um das Floss anzutreiben…

Km: 72‘583 (0)

Mi, 17.05.2017: Dschungelschlamm

Eigentlich wussten wir, dass die Strecke nach Trinidad, die wir heute befahren wollten, einige Probleme mit sich bringen könnte, denn auf sämtlichen Navigationsgeräten war der Flussübergang etwas eigenartig bezeichnet, als ob die Brücke dort noch nicht fertiggestellt ist. Trotzdem wollten wir ausprobieren, ob wir den von der endenden Regenzeit viel Wasser führenden Rio Grande auch ohne Brücke überqueren können. Auf guter Strasse erreichten wir bald Montero und hielten jetzt geradewegs auf den Rio Grande zu. Lange Zeit war die Strasse ganz okay, aber nach Okinawa wurde der Fahrweg zusehends schlechter. Die letzten zehn Kilometer vor dem Fluss waren immer schwerer zu befahren, weil der Regen der letzten Tage die Schlaglöcher mit Wasser gefüllt hatte, sodass wir mehr rutschend denn fahrend das letzte Dorf vor dem Fluss erreichten. Der Weg zum Fluss wurde schlammig-tief, und ich bereute schon, mich mit diesem Routing einverstanden erklärt zu haben. Aber wir erreichten den Fluss oder besser eine Sandbank, erblickten auch die neue Brücke, in der in der Mitte noch ein riesiges Loch klaffte.

Weit entfernt sahen wir zwei braun verschmierte Autos und zwei kleine Holzfähren, die einen offenbar über den Fluss bringen. Die Fahrt dorthin über tiefe Sandbänke wurde zu einem weiteren Balanceakt. Mein etwas besseres Profil an den Reifen war hilfreich, die Maschine einigermassen sicher zur Anlegestelle zu bringen. Sam legte seine Maschine zweimal in den Schlamm. Er ist aber so gewandt im Aufstellen seines Töffs, dass er in wenigen Augenblicken schon wieder unterwegs war. Die Auffahrt auf die Fähre war ein Abenteuer für sich, weil das schmale Brett schmierig und steil war. Ich stieg ab, gemeinsam mit einigen Helfern brachten wir die Maschine auf die Fähre, auf der es Platz für zwei Autos und unsere beiden Motorräder hatte. Das Floss wurde von einem kleinen Motorboot über den Fluss geschoben. Problemlos erreichten wir die andere Flussseite. Ich war so wagemutig, über die steile Bretterrampe mit vollem Garacho aus der Fähre zu schiessen – und dies gelang ausgezeichnet, obwohl ich auf dem schmalen Brett einen Moment lang ins Rutschen kam.

Jetzt war es nicht mehr weit bis zur Hauptstrasse in Richtung Trinidad. Die Strasse war jetzt erstaunlich gut, und wir kamen schnell vorwärts. Wir passierten einige armselige Dörfer, etwas traurig anzusehen, weil die Vorplätze der einfachen Lehmhütten häufig voller brauner Tümpel und Schlamm waren. Je weiter wir fuhren, umso dichter wurde der Dschungel. Schliesslich erreichten wir einige bewaldete Hügel. iOverlander gab uns den Tipp für einen Lagerplatz an einem Fluss, wo es manchmal Affen zu beobachten gibt. Dieser Fluss war aber so hoch, dass wir den sichtbaren und guten Lagerplatz nicht erreichen konnten. Deshalb nahmen wir wenig später einen Fahrweg in den Dschungel, der vor allem mich an die Grenzen der Leistungsfähigkeit und Fahrkünste bringen sollte. Gleich mehrere mit Wasser gefüllte Löcher waren zu bewältigen, und dreimal legte ich auf einer Wegstrecke von nur einem Kilometer meine Maschine hin, einmal tief in den Schlamm, sodass wir sie gemeinsam beinahe nicht mehr aufrichten konnten. Einmal legte sich der silberne Koffer erneut auf meinen problembehafteten Fuss. Schmerz! Aber diesmal war ich nicht so schnell unterwegs, sodass ich erstens den Fuss durch den Schlamm an die Freiheit würgen konnte und zweitens sofort bemerkte, dass ich ihn nicht ein weiteres Mal schwer verletzt hatte. Jetzt spüre ich ihn allerdings, das Gehen bereitet etwas Schwierigkeiten.

Jetzt befinden wir uns mitten im Dschungel. Beim Durchpflügen durch den Schlamm wurden wir von den Mücken beinahe aufgefressen, weil es gerade am Dämmern war. Es war heute nicht einfach, ein Feuer hinzukriegen, weil das Holz zu feucht war. Es gab eine deftige Suppe, dann setzten wir das Tagesthema fort, nämlich wie wir per Floss den Amazonas bezwingen können – oder werden…

Km: 72‘807 (224)

Do, 18.05.2017: Gleich mehrfach gestochen

Als ich am Morgen schon recht früh erwachte, tummelten sich zwischen Innen- und Aussenzelt wohl Hunderte (!) von Moskitos, denen es glücklicherweise nicht gelang, die Zeltwand zu durchdringen. Trotzdem hatte ich das Zelt dringend zu verlassen, denn ein kleiner Durchfallanfall kündigte sich an. Das Geschäft war doppelt unangenehm: Erstens plagten mich Krämpfe, zweitens lud die zarte sturzi-Fudi-Haut die Mücken ein zuzustechen und mich meines Blutes zu berauben.

Ich machte sofort ein Feuer, das gegen diese Plagegeister schützt und backte aus dem gestern vorbereiteten Teig einige herrliche Brötchen. Schon um neun Uhr hatten wir fertig gepackt. Ich hoffte, ausgeruht etwas besser durch den schlammigen Fahrweg zu kommen. Ein Schlammloch war aber so tief, dass ich nur mit Sams Hilfe wieder herauskam. Das durchdrehende Rad gab dem Schlammwasser eine gewisse Geschwindigkeit und gab Sams Hose eine neue Farbnote. Mir selber sollte es aber nicht besser gehen, Sam ruderte mit seinen fast profillosen Reifen noch mehr als ich, sodass ich ihn aus einem Schlammloch schieben musste – mit demselben Effekt, nämlich dass auch meine Hose jetzt eine weitere Farbveränderung Richtung grau-braun machte.

Ich war froh, die Strasse erreicht zu haben, nachdem ich kurz vor dem Ziel meine Maschine doch noch einmal hinlegte. Im nächsten Dorf machten wir bereits einen nächsten Stopp, um uns mit frischem Salz einzudecken. Das Brot heute Morgen hatte eine etwas spezielle Geschmacksrichtung, weil es mit meiner Salz-Pfeffer-Mühle nur etwas gesalzen wurde. Dabei ist doch jetzt eigentlich nicht die Zeit des Pfefferbrotes. Hier musste ich mir von Sam eine grosse Zecke entfernen lassen, die hinter dem Ohr zugebissen hatte. Als wir losfuhren, wurde ich gleich nochmals gestochen. Diesmal war der Stich sehr schmerzhaft, ein Stachel hängte noch an meinem Hals, der mir Sam ebenfalls entfernte. Keine Ahnung, ob es eine Wespe, eine Killerbiene oder ein anderes südamerikanisches Dschungelbiest war. Der Stich schmerzt noch heute Abend auf Druck.

Weil wir antizyklisch unterwegs waren, störte kaum Verkehr unser Vorwärtskommen, dafür begann es aus der starken Bewölkung bald zu regnen. Wieder hielten wir an, ich wollte meinen grossen Rucksack im Duschvorhang verpacken. Dank der recht gut ausgebauten Strasse, an der an verschiedenen Stellen gearbeitet wurde, kamen wir recht gut vorwärts. Trinidad sollten wir aber auch heute nicht erreichen. 68 km davor bogen wir ab in einen weiteren Schlammweg und fanden ein verlassenes, sich im Bau befindliches Haus, inmitten eines sumpfigen Gartens gelegen. Weil es den ganzen Tag über immer wieder kurz geregnet hatte, waren wir froh ums Dach, stellten die Zelte im offenen, sandigen Wohnzimmer auf. Während ich mich um das Feuer kümmerte, wurde Sam überrascht, als er sah, dass die Hinterachse seines Töffs lose war und zu einem Teil auf der einen Seite herausschaute. Er hatte offenbar die Mutter beim vorgestrigen Kettenwechsel nicht richtig angezogen. Er bastelte jetzt aus einem hier herumliegenden WC-Rohr und einem Petflaschendeckel zusammen mit Poxipol, dem südamerikanischen Wunderleim eine Schraube, die hoffentlich hält, bis wir morgen Trinidad erreicht haben.

Es ist erst neun Uhr. Ich liege schon in meinem Zelt, die Mücken haben mich hierher vertrieben. Es ist tropisch-feucht und schwülwarm. In diesem geschützten Raum kann ich wenigstens beinahe ohne Kleider ungestört liegen und schreiben. Zuvor wurde ich wohl ungezählte dreissig Mal von diesen Plagegeistern gestochen – trotz Feuer…

Km: 73‘089 (282)

Fr, 19.05.2017: Ist die Natur zu stark?

Ich sitze im schützenden Zelt, es ist erst Viertel vor sieben Uhr. Als es zu dämmern begann, wurden wir von einem Mückenschwarm von apokalyptischem Ausmass heimgesucht, sodass wir innert Sekunden in unsere Zelte flüchteten. Es ist ein Surren in der Luft, weil sich weiterhin Hunderte von diesen Plagegeistern zwischen Aussen- und Innenzelt aufhalten. Frösche oder anderes fremdartiges Getier geben Töne ab, welche mir auch als Tropenkundiger absolut unbekannt sind. Der nahe, viel verzweigte, Hochwasser führende Rio Mamoré bringt eine Vielzahl von unangenehmen Tieren hervor…

Eben hat es zu regnen begonnen. Die neuen Niederschläge haben sich schon lange angekündigt. Hinter rabenschwarzem Himmel haben sich Blitze im Sekundentakt entladen. Als ich eben das Aussenzelt etwas besser verschliessen wollte, um meine schlammverschmierten Schuhe vor weiterer Feuchtigkeit zu schützen, habe ich zwei der Aussenheringe des Innenzeltes aus dem Sand gerissen. Was für ein Gefühl, wenn man gleichsam unter einem Wasserfall steht, das Zelt scheps ob einem hängt und man realisiert, dass der Zeltboden von Sekunde zu Sekunde nässer wird. Um mich vor den Moskitos zu schützen, habe ich mich mit dem Regenschutz ausgerüstet, der zu stark gebaut ist, als dass deren Sauginstrumente diesen durchdringen könnten. Ich habe die beiden Heringe noch tiefer in den Sand gerammt und bin jetzt eben wieder im Zelt angekommen. Wiederum hat es gereicht, zwanzig neue Mücken mit ins Zelt zu schleppen, die jetzt eben in wilder Mordaktion exidiert werden, meist mit roten Spuren. Mein Blut wurde erneut teuer angezapft…

Bis Trinidad, der lebendigen bolivianischen Tropenstadt wurden wir noch von einigermassen guten Strassen verwöhnt, sodass wir recht gut vorwärts kamen. Wir deckten uns mit Wasser ein, fanden schon in der ersten Ferreteria die gesuchte Mutter für Sams Hinterachse, ich kaufte neues, rotes Kühlwasser, das ich per selbst gebasteltem Papiertrichter in den Kühlwasserbehälter goss (wegen des dauernden Töffhinlegens war der Tank unterdessen leer…).

Das Abenteuer Richtung San Ignacio de Moxos begann schon wenige Kilometer nach Trinidad, als zwei Flussarme des Rio Mamoré überquert werden mussten, beide Male per uralten, morsch aussehenden Kleinfähren. Unglaublich, welche Lasten ein solches Floss zu tragen vermag. Ein Lastwagen mit Anhänger fand gerade noch Platz auf einem Boot. Das Pièce de Resistance sollte aber erst noch folgen. Zuerst konnten wir den übelsten Schlammpartien auf der Strasse noch ausweichen, weil die Sonne heute wenigstens eine Spur abgetrocknet hatte. Aber jetzt sahen wir von weitem Lastwagen und Autos quer im Schlamm liegen. Es war nur schon schwierig, diese Stellen zu Fuss zu rekognoszieren geschweige denn zu befahren, denn der schmierige Schlamm war glitschiger als Schmierseife oder Glatteis. Schliesslich fanden wir aber eine Stelle, die geeignet schien, mindestens einigermassen durchzukommen. Ich fuhr mit leichter Ausrüstung, schleppte Rucksack und Wasser hinter die schwierigste Stelle. Sam versuchte, sich mit Schnur etwas Profil zu verschaffen, indem er diese um seinen Hinterpneu wickelte und kam recht gut durch. Ich legte meine Maschine nach dem Aufladen meines Materials wieder einmal in den Schlamm, lud all mein Gepäck erneut ab, sie lag aber so unpraktisch, dass ich mir beim Aufstellen trotzdem helfen lassen musste. Aber schliesslich war die erste Stelle geschafft, aber die nächste folgte sogleich. Ich wählte die falsche Route und geriet in schmierigsten Schlamm. Wieder lag die Maschine in der Sauce und ich gleich darauf auch. Schlammiger Schmutz allüberall! Unterdessen war es bereits vier Uhr nachmittags. Irgendjemand hatte hier Sand aufgeschichtet, um wahrscheinlich die Strasse später aufzufüllen. Und hier oben gleich neben der Schlammstrasse haben wir jetzt unsere Zelte aufgestellt. Die tropischen Geräusche des Getiers werden mitunter unterbrochen von Fahrzeugen, welche sich schlitternd durch die seifige Flüssigkeit kämpfen, aber der Verkehr wird weniger. Wer möchte schon um diese Zeit eine solche Strasse befahren?

Eigentlich hatte ich schon beschlossen, dass diesmal die Natur stärker ist als ich und ich morgen umkehre. Zwei Kilometer weit sind wir in den letzten zwei Stunden Fahrt gekommen, deren 250 wären durch den bolivianischen Urwald zu fahren. Es macht wohl keinen Sinn für mich weiterzufahren, obwohl es mir extrem stinkt, die Hunderten von Kilometern zurück nach Santa Cruz zu fahren. Aber vielleicht muss ich einfach eingestehen, dass dieser Trip für mich jetzt eine Nummer zu gross und zu schwierig ist.

Ich wage mich auch jetzt noch nicht aus dem Zelt, noch immer scheint der Hunger der Mücken unermesslich zu sein. Ich werde mich wohl mit einer Grapefruit begnügen für das Abendessen, die ich heute Morgen in „unserem“ Garten des letzten Schlafplatzes noch gepflückt hatte.

Km: 73‘185 (96)

Sa, 20.05.2017: Weitere 70 km geschafft!

Wie besessen versuchten die Dutzenden von Moskitos zwischen Innen- und Aussenzelt einen Weg in meine schützende Höhle zu finden. Deshalb musste gut überlegt sein, wie und wann man aufsteht. Ich hatte aber beileibe genug geschlafen diese Nacht und war wegen des ausgelassenen Abendessens hungrig. Natürlich war am Morgen alles typisch tropisch taunass, und auf dem Sand war es ein lästiges Zusammenpacken, weil er die unangenehme Eigenschaft besitzt, an jeglicher Feuchtigkeit kleben zu bleiben. Ich versuchte, den Juckreiz der unzähligen neuen Moskitostiche mit Tiger Balm zu beruhigen (was ganz gut gelang).

Die Nacht war auch dazu da, zu einem Entschluss in Bezug auf meine persönliche Weiterreise zu kommen. Und o Überraschung, ich gebe noch nicht auf! Schon bald war ich mit meinem braun verschmierten Töff ohne schweres Gepäck über die bekannt rutschige Unterlage ultravorsichtig unterwegs zu einem 400 m entfernten weiteren Sandhügel, der aber zuerst einmal erklommen werden musste. Ich baute aus dem Sand eine Rampe und schaffte es tatsächlich, den Grat dieses langen Sandhügels zu erreichen und weiter bis zur nächsten Schlammpartie zu fahren. Dann holte ich zu Fuss mein restliches Gepäck und montierte es zu Vollpackung – zumindest fast, denn Sam war so nett, die zehn Liter Wasser in meinem Container zu übernehmen.

Und dann ging das Spiessrutenlaufen weiter. In aller Ruhe und ohne Stress kamen wir Schritt für Schritt vorwärts. Nur einmal rutschte mir mein Vorderrad weg, und schon lag die bedauernswerte Maschine wieder im Schlamm, diesmal bedrohlich nahe eines steilen Abhangs. Die etwas trockenere Morgenluft und die Sonne trockneten aber allmählich wenigstens zwei Spuren der breiten Schlammstrasse ab, sodass wir je länger desto besser vorwärtskamen. Ich war überrascht, dass die Strasse über eine Brücke führte, und ich staunte über die morgendliche Tropenstimmung. Wildester Dschungel mit Seerosenblättern von einem Meter Durchmesser, auf denen ein Riesenfrosch problemlos ein Sonnenbad hätte nehmen können. Die Sensation waren aber die pinken (ja, tatsächlich!) Süsswasserdelfine, die sich im Wasser ihren Frühspielen hingaben, immer wieder kurz auf- und abtauchten, um dann an ganz anderer Stelle erneut zu erscheinen.

Wir passierten jetzt einige Baustellen, wo mit Volldampf an der Verbesserung dieser notorisch schlechten Strassenverbindung gearbeitet wird. Dadurch kamen wir schneller vorwärts als erwartet. Wir erreichten die kleine Stadt San Ignacio de Moxos bereits am frühen Nachmittag, fanden schnell ein kleines Alojamiento (21 settembre). Lange Zeit war ich damit beschäftigt, all mein feuchtes Material an die Sonne zu hängen oder zu reinigen, bis ich endlich auch Zeit fand für die bitter nötige eigene Körperreinigung. Ich fühlte mich wie frisch geboren, trank ein Bier, diskutierte mit dem in der Hängematte liegenden Sam über unseren Flosstrip. Dann waren wir unterwegs im Dorf, in dem die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Kleine Märkte, Läden mit einer riesigen Vielfalt von Produkten, aber alle mit exakt denselben, seit Jahrzehnten scheint sich am Lebensstil nichts verändert zu haben. Wir kauften insgesamt vierzig Meter Seil, um bei schlammigen Strassenverhältnissen unsere Maschinen etwas fahrtauglicher zu machen – und Seil brauchen wir dann ohnehin für den wochenlangen Flosstrip auf dem Amazonas. Zudem zeigte mir Sam einige Knoten, die er bei seiner Schiffsausbildung gelernt hatte. Sehr nützlich scheint mir der Falstick zu sein.

Es ist Samstagabend. Gleich neben uns tönt eine laute Disco. Unser Zimmer mutiert zum Schallkörper. Unterdessen hat es ein Gewitter gegeben, keine guten Vorzeichen für den morgigen Trip Richtung Westen, der eigentlich nicht mehr ganz so schlimm werden sollte – laut einem österreichischen Abenteurer, den wir heute Nachmittag in San Ignacio getroffen haben, der uns mit einigen Tipps für die folgenden Tage versorgt hat.

Km: 73‘257 (72)

So, 21.05.2017: Die Schlammschlacht geht weiter

Ich schätzte die Chancen auf einen einfachen Tag als gering ein, denn es hatte die ganze Nacht über immer wieder leicht geregnet, nicht gerade perfekte Voraussetzungen für den prognostizierten schwierigsten Teil unseres bolivianischen Dschungeltrips. Ich staunte, wie gut ich geschlafen hatte, obwohl das Nachtleben San Ignacio de Moxos mit den Lärmemissionen sich als intensiv herausgestellt hatte. Ruhig wurde es erst, als es bereits dämmerte…

Wir waren kaum einen Kilometer gefahren, als schon der nächste Schauer über uns niederging, sodass eine braune Sauce auf dem Fahrweg ein schnelles Fahren verhinderte. Aber der Sand auf der Piste verband sich mit dem Schlamm erstaunlich gut, sodass wir nach zwanzig Kilometern dachten, San Borja vielleicht heute schon zu erreichen. Aber wir sollten nur noch elf Kilometer weiterkommen, obwohl wir den ganzen Tag unterwegs waren. Je weiter wir fuhren, desto schlammiger wurde die Nationalstrasse F3. Nachdem wir unsere Maschinen schon bald erneut hingelegt hatten, verstärkten wir das Reifenprofil mit unseren gestern gekauften Seilen, ein dünneres für vorne, ein dickes für hinten, womit ich bereits die neu gelernten Knoten praktisch anwenden konnte. Tatsächlich war der Grip im Schlamm jetzt viel besser, aber nach wiederholten Schauern kamen wir gleichwohl nur sehr langsam voran. Zudem war die Konsistenz des Schlamms heute so fest, dass er sich in allen Ritzen der Räder, in der Kette, unter dem Schutzblech festsetzte. Dies bedeutete, dass wir erst einmal mein vorderes Schutzblech demontierten, weil ich mehr rutschen als fahren konnte, denn das Rad blockierte immer wieder.

Wir waren nicht viel weiter gefahren, als der Klebschlamm etwas dagegen hatte, dass die Kette ihren Weg auf das Ritzel findet. Es knackte wiederholt hinter mir, bis die Kette ganz blockierte. Wir reinigten die Kette mit Wasser aus einem nahen Tümpel mit Hilfe meiner Zahnbürste. Dies brachte den gewünschten Effekt, dass sie jetzt wieder runder lief, vor allem aber sahen wir, dass nichts an der Kette oder den Ritzeln defekt ist. Das Vorwärtskommen war aber gleichwohl überaus beschwerlich und anstrengend. Ich legte meine Maschine zwar nie mehr hin, aber Kupplung und Motor wurden über alle Massen gefordert.

Schliesslich war es bereits halb fünf Uhr, wir hielten bereits Ausschau nach einem Lagerplatz am Strassenrand, aber die wenigen Grasnarben waren sumpfig nass, nicht wirklich geeignet, ein Zelt aufzustellen. Zudem erreichten wir jetzt die absolut schwierigsten Stellen der ganzen heutigen Fahrt, ein Lastwagen hatte sich bis zur Achse eingegraben, wir suchten immer wieder die Stellen mit dem kleinsten Sturzpotenzial, Sam legte seine Maschine zum x-ten Mal hin, weil er die Kupplung schonen wollte und etwas schneller als ich unterwegs war. Dann fuhr er in ein siffiges Loch und kam trotz der Seilunterstützung nicht heraus, sodass ich hinten schieben musste. Sofort war ich mit Schlammsauce graubraun paniert. Auch ich konnte diesem Loch nicht ausweichen, sodass auch Sam eine neue Schicht sandigen Schlamms gespendet bekam. Immer wieder mussten wir anhalten, weil der Schlamm das Drehen der Räder verhinderte. Mit blossen Händen klaubten wir die schmierige Masse, die jetzt groteske Masse angenommen hatte und unsere Motorräder immer breiter aussehen liess (!), aus den Höhlungen des Töffs. Unangenehm, aber effektiv, wenn auch nicht lange andauernd.

Schliesslich erreichten wir eine ganze Reihe parkierter Lastwagen und eine kleine Siedlung mit genau drei Häusern. Schnurstracks fuhr ich über den sumpfigen Vorplatz und fragte den bolivianischen Indio, ob es möglich sei, irgendwo zu zelten. Tatsächlich durften wir die Zelte an trockener Stelle unter einem Vordach aufstellen. Es war gar möglich, ein Bier zu kaufen, zudem assen wir eine einfache Mahlzeit – eine Art currygewürzten Reis mit süssen, fritierten Bananen. Einige Zeit sass ich vor dem Fernseher in der der offenen, gedeckten Strohhütte und schaute auf dem nicaraguanischen Sender einen spanischen Film aus den Vierzigerjahren. Zu schräg!

Jetzt hocke ich im Zelt. Im Haus vergnügen sich die Teenager des Hauses mit bolivianischer Volksmusik, etwas entstellt durch Disco-Groove. Vor allem quakt und tönt es rund um mich in grosser Diversität. Ich bin gespannt, wie viele Tage wir brauchen werden, aus dieser Schlammhölle zu entkommen. Eigentlich habe ich jetzt schon mehr als genug. Alleine hätte ich wohl dieses Routing nicht gewählt, aber zu zweit ist es möglich. Es ist eine Zeit, in der man sich jeden Tag überaus stark spürt, die Grenzen kennen lernt, ich erlebe Geschichten, die unvergesslich sind und schliesslich der Reise wohl auch die Würze geben, wenn man so lange unterwegs ist.

Km: 73‘288 (31)

Mo, 22.05.2017: Dschungel in Zeitlupe und nochmals viel Dreck gefressen

Ich war schon früh wach und sofort damit beschäftigt, meine Sachen zusammenzuräumen, viel angenehmer, wenn sie mehr oder weniger trocken sind, erstens weil wir unter einem Vordach campierten, zweitens weil es die ganze Nacht trocken blieb. Ein Hund war auf der Suche nach einem trockenen Schlafplatz auf mein Zelt gestossen und legte sich auf meinem straff gespannten Aussenzelt aufs Ohr. Die Stimmung am Morgen war trostlos, die Hühner suchten auf dem schlammig-tiefen Platz zwischen den drei Gebäuden nach etwas Fressbarem, kleine Kinder eilten vorsichtig auf schmalen Brettern von einem Gebäude zum andern, als ob sie verhindern wollten, in einen mit Piranhas verseuchten Fluss zu fallen, einige Lastwagenchauffeure, die noch nicht den Mut gefasst hatten weiterzufahren, tranken schon am Morgen Coca Cola; ihre Wangen waren dick aufgebläht von gekauten Coca-Blättern, die offenbar gut sein sollen, einem Energie zu verleihen – offenbar ist diese Energie zu gering, um Flügel zu verleihen…

Als ich in die einfache Küche mit Holzherd blickte, sah ich, dass wohl der Chef des Hauses bereits einige Fische aus dem nahen Teich gefangen hatte, perfekt geeignet für ein deftiges Fisch-Reis-Frühstück. Ganz 65 Bs wollte der Hausherr von uns beiden kassieren für den trockenen Schlafplatz und zweimal essen, weniger als zehn Franken. Ich gab ihm 100 Bs, es ist immer das Schönste, wenn auch der einfache Mann einmal etwas vom Tourismus profitieren kann.

Wir hatten keine Ahnung, wie weit wir heute kommen würden, wussten jedoch, dass wir gut ausgerüstet sind mit genügend Essen und Trinken, sodass wir jederzeit anhalten und irgendwo übernachten könnten. Aber schon nach den ersten Kilometern war klar, dass es etwas abgetrocknet hatte und die Schlammpiste besser zu befahren war. Zwar war es immer noch sehr tief, aber die Seile um unsere Reifen taten uns ihre guten Dienste. In regelmässigen Abständen erwartete uns trotzdem eine Herausforderung, wenn die ganze Strassenbreite im Schlamm versank und kein Aus-Weglein mehr zur Verfügung stand. Meist sah man schon von weitem, dass wieder eine heikle Stelle anstand, wenn ein Auto im Schlamm stecken blieb oder sich ein Lastwagen gleich metertief in die Strasse eingegraben hatte und grotesk schräg in der Landschaft stand. Aber dank unserer improvisierten Profile konnten wir all diese Klippen meistern. Schon vor Mittag hatten wir die ganze gestrige Distanz geschafft. Irgendwann hiess das Ziel klar San Borja, die nächste grössere Ortschaft. Die Strasse war unterdessen so sehr abgetrocknet, dass wir die Seile demontieren konnten. Lange Zeit lohnte sich diese Aktion, weil wir jetzt schneller vorwärtskamen – mit Seilen erlaubten wir uns höchstens 30 km/h – ein gelöstes Seil, das sich irgendwie um das Rad oder die Achse wickelt, hätte einen fatalen Sturz  zur Folge haben können.

Eigentlich war ich ein Künstler im Finden des idealen Weges. Als wir aber (ohne Seilhilfe) nochmals auf ein beinahe unüberwindbar scheinendes Hindernis stiessen, versank ich am Rand der Strasse wiederholt im Siff und versenkte die Maschine bis beinahe zum Anschlag meiner Seitenkoffer. Wieder einmal war all mein Gepäck abzuladen, denn mein Gefährt war einfach zu schwer, um es aus dem Loch, in dem ich geparkt hatte, zu bringen. Aber der Aufwand lohnte sich. Sam riss am Vorderrad, und gemeinsam schafften wir es, den Töff aus der schmierigen Masse zu hieven. Sam ging es wenig vorher nicht anders. Die Fahrspur war so tief, dass er mit seinen grossen Seitenkoffern an den Schlammwänden auflegte. Zu zweit brachten wir das schräg gestellte Fahrzeug wieder in die Horizontale und kurz darauf aus dem Schlamm.

Wir erreichten San Borja kurz vor dem Einnachten, checkten im Hostal Tarope ein (60 Bs/Person). Eigentlich hätten unsere Motorräder eine reinigende Dusche noch nötiger als wir, aber die müssen sich noch etwas gedulden. Wir waren hungrig und nicht lange unterwegs, bis wir in einem kleinen Restaurant gleich je zwei Hamburger verzehrten.

Km: 73‘400 (112)

Di, 23.05.2017: Entschlammt

Wiederum war es grau am Morgen, die ganze Nacht hatte es leicht genieselt, keine guten Voraussetzungen, um die letzte Teilstrecke mit schwierigen Strassenverhältnissen von nur noch 50 km bis Yucumo zu bewältigen, wo wir endlich wieder eine geteerte Strasse erwarteten. Und tatsächlich war am Anfang die Piste bekannt siffig und rutschig. Wir kamen lange nur im Schritttempo vorwärts, aber eigentlich war mir durchaus bewusst, dass wir besser gestern einen trockenen Tag einzogen, um es schliesslich einigermassen zeitig nach San Borja geschafft zu haben.

Es ärgerte mich aber gleichwohl, nochmals ziemlich gefordert zu sein und all die heiklen, glitschigen Stellen sturzfrei zu meistern. Dies wäre jetzt wirklich nicht mehr nötig gewesen… Da es jetzt aber regenfrei blieb, trocknete die Strecke allmählich ab, aber viel schneller kamen wir trotzdem nicht vorwärts, weil jetzt vielen tiefen Schlaglöchern und lästigen, teils immer noch rutschigen Bodenwellen ausgewichen werden musste. Je weiter wir fuhren, umso mehr wurde an der Strasse gearbeitet und umso besser kamen wir voran, sodass wir schon vor dem Mittag Yucumo erreichten. Was für ein Gefühl, wieder einmal auf einer gut ausgebauten, geteerten Strasse zu fahren! Zuerst mussten wir aber zum Lokaltarif tanken (der weniger als halb so teuer wie der Touristenpreis ist), dann lösten wir den eingetrockneten Schlamm zwischen Hinterrad und Rahmen, der Kratzspuren auf dem Hinterreifen hinterlassen hatte, damit das Hinterrad wieder einigermassen rund drehte.

Es war jetzt ein Leichtes, Rurrenabaque, eine Kleinstadt an den Ausläufern der Anden und am mächtigen Rio Beni gelegen, zu erreichen und im Hotel Tucanes einzuchecken (nur je 40 Bs pro Person). Sofort fuhren wir jetzt zu einem Motorradreiniger, der unsere Motorräder vom eingetrockneten Schlamm befreite. Sam wurde in seiner beinahe selbständig stehenden Hose gleich auch abgespritzt, von unseren Schuhen sieht man jetzt tatsächlich wieder die Farbe, allerdings haben sie gelitten wie vieles meines Materials, das sich allmählich zu zersetzen scheint. Dann waren wir unterwegs durch die Stadt, ich brachte einen Haufen schmutzige Kleider in eine Wäscherei, bevor wir uns auf die Suche nach Nelo machten, mit dem wir morgen eine Tour auf dem Fluss machen wollen. Dieser junge Führer wurde uns vom Österreicher empfohlen, den wir in San Ignacio de Moxos getroffen hatten.

Ich ass einen ausgezeichneten Flussfisch an Curry, anschliessend kamen wir im Hotel in Kontakt mit einigen kanadischen Touristen, mit denen wir unsere Reiseabenteuer austauschten und einige Caipirinhas tranken.

Km: 73‘560 (160)

Mi, 24.05.2017: Verkehrsblockade in Rurrenabaque

Wir wunderten uns schon gestern, warum eine riesige Horde von Motorradtaxis und anderen Zwei- und Dreirädern laut hupend in der Stadt unterwegs waren. Erst heute fanden wir heraus, dass es sich um eine Demonstration handelt. Eigentlich hatten wir gestern Glück, überhaupt noch in die Stadt fahren zu können, denn schon heute wäre dies nicht mehr möglich gewesen. Momentan sind wir nämlich blockiert hier. Es ist nicht mehr möglich, motorisiert in die Stadt zu fahren oder diese zu verlassen, weil die Zufahrtsstrasse blockiert ist.

Warum? Es ist auffallend, dass in Rurre kein Vehikel eine Nummer hat, all die Fahrzeuge sind also nicht staatlich registriert, und dies war schon immer so. Offenbar handelt es sich bei sämtlichen Autos und Kleinmotorrädern um Fahrzeuge, die in Chile gestohlen wurde und hier billig abgesetzt wurden. Erst kürzlich wurde noch vor der chilenischen Grenze ein Sattelschlepper mit solchen Fahrzeugen konfisziert, und die chilenische Regierung hat bei der bolivianischen insistiert, die jetzt diesen rechtlichen Wildwuchs bekämpfen und beenden will. Die Einheimischen wehren sich natürlich gegen neue Regelungen und versuchen jetzt mit den „gefangenen“ Touristen Druck auszuüben. Es ist absolut unklar, wie lange wir deshalb hier verweilen müssen. Immer wieder sahen wir die Motorradtaxis hupend durch die Gassen fahren, der Beifahrer schliesslich ausgerüstet mit einem Knüppel, durch den ein langer Nagel getrieben wurde. Es ist hier wohl ratsam, sich nicht im falschen Moment an einem ungünstigen Ort aufzuhalten, Wachsamkeit ist gefragt, sehr schnell könnte Druck in Gewalt mit allen unberechenbaren Folgen umschlagen.

Eigentlich wollten wir heute mit unserem Boots- und Fischertrip beginnen, aber auch die Tankstellen wurden gesperrt, sodass unser Bootsführer nicht über genügend Benzin verfügte. Eigentlich hätte er dies leicht schon gestern erledigen können, aber bezüglich Arbeit plant man hier nicht überraschend nur kurzfristig. Dies war mir eigentlich ziemlich egal, es war mir durchaus recht, einmal etwas ausspannen zu können und nichts vorzuhaben.

Wir hingen den ganzen Nachmittag in den Hängematten im Innenhof unseres Hotels, lernten Maria aus Meran kennen, die schon seit vier Jahren unterwegs ist und die folgende Reiseetappe jeweils mit Arbeit vor Ort finanziert. Ein Abenteuer, das mir abgeht oder ein Vorteil, dass man etwas älter ist und von Gespartem leben kann. Aber ich kann durchaus gut darauf verzichten, nach dem Mangopflücken in Australien an Hautausschlag zu leiden oder in den Staaten illegal in einer Hanfplantage zu arbeiten…

Schliesslich verkochten wir im Hotel die übriggebliebene Aubergine und die Tomaten zu einem netten Pastamenu. Unterdessen war es schon Mitternacht, als wir noch eine Bar im Stadtzentrum besuchten. In der Moskkito-Bar verwerteten wir drei Bons Marias, bestellten später weitere Drinks, sodass wir erst um vier Uhr morgens zurück zu unserem Hotel spazierten. Die sonst lebendigen Gassen waren schwarz und menschenleer. Ich warf mich im Zimmer aufs Bett, sofort fiel ich in einen tiefen Schlaf.

Km: 73‘560 (0)

Do, 25.05.2017: Fauler Tag an tropischer Hitze

Die Überraschung war schon am Morgen perfekt, als bekannt wurde, dass die Verkehrsblockade zumindest vorübergehend aufgehoben wurde. Offenbar wurde ein Kompromiss getroffen, oder die bolivianische Regierung hat unglaublicherweise nachgegeben – keine Ahnung. Auf der Gasse trafen wir zufällig auf Nelo – einem Bootstrip wäre jetzt nichts mehr im Wege gestanden, aber die Lust auf einen weiteren faulen Tag war grösser, sodass wir es definitiv nicht schaffen werden, am Sonntag hier wegzukommen und problemlos die sich in Bau befindliche Strasse hoch nach La Paz benutzen zu können.

Dafür fanden wir Zeit, unser Bolivien-Visum auf der Migración um einen Monat verlängern zu lassen, dieses Land scheint uns nicht loslassen zu wollen. Aus zwei oder drei Wochen Aufenthalt werden wohl fünf oder sechs werden. Maria wusste genau, was zu tun ist, weil sie sich schon einen Monat hier aufhält und auf einen neuen italienischen Pass wartet. Wir füllten im Internet ein Online-Formular aus, druckten es aus, kopierten Pässe, und Maria führte uns zum Migrationsbüro. Wir sassen lange in einem Restaurant, assen eine Pizza und trafen auf ein Schweizer Paar, das ebenfalls monatelang in Südamerika unterwegs ist. Wenn man Schweizer trifft, dann sind sie immer lange am Reisen, ein untrügliches Zeichen, wie angenehm es ist, diese Nationalität zu besitzen und schnell relativ viel verdienen kann. Deshalb findet man auch nie Schweizer, die während des Reisens arbeiten, zu Hause lässt sich einfacher genügend Geld für eine nächste Reise machen.

Am Abend brachte ich unsere Motorradschuhe zu einem Schuhmacher, denen die Feuchtigkeit der letzten Woche ziemlich zugesetzt haben und an verschiedenen Stellen genäht und geleimt werden mussten.

Km: 73‘560 (0)

Fr, 26.05.2017: Tausende Tiere, darunter ein 8-kg-Bakú

Ich liege abseits jeglicher Zivilisation am Rio Beni auf einer Sandbank im Zelt, habe mich selbst eingesperrt. Eigentlich bin ich zu müde, um noch zu schreiben, der hiesige Dschungel ist mir beinahe zu stark und zu intensiv. Wenigstens habe ich mich endlich meiner Kleider befreien können, die Luft im Zelt steht still und ist feucht-heiss, die Zeltwände sind tropfnass und mein Körper schmierig-feucht. Endlich sind wir heute zusammen mit Nelo in dessen kleinem Boot dem Rio Beni flussaufwärts gefolgt. Mehr Tropen-Erlebnis geht nicht. Der Fluss, der später in den Amazonas mündet, ist hier schon mächtig breit, braun gefärbt von den Sedimenten wegen der vergangenen Regentage.

Nach einer Stunde Fahrt erreichten wir den Eingang des Madidi Nationalparks, wo wir uns eingeschrieben haben. Nach einer weiteren Stunde durch tiefsten Urwald erreichten wir den Rio Hondo, der genau hier in den Rio Beni einmündet. Wenig entfernt haben wir einen steilen gelb-hellbraunen Felsen besucht, wo des Abends grün-blau-rote Aras zu beobachten sind. Leider machten sie sich heute etwas rar, aber ich durchquerte den Dschungel bis zu einem Grat, von dem aus ich eine herrliche Aussicht flussaufwärts bekam. Auf dem Weg wurden wir von einem Schauer eingeholt, der glücklicherweise nur von kurzer Dauer war.

Die Hauptabsicht dieses Trips ist es, in tropischen Gewässern fischen zu lernen, damit wir uns auf unserem grossen Amazonas-Flosstrip von Fischen ernähren können. Als es zu dämmern begann, waren wir sofort ein gefundenes Fressen für wahre Heere von Moskitos. Diese Plagegeister schafften es, auch durch ein kurzes und später zusätzlich langes T-Shirt zu stechen, sodass ich mich sogar mit meiner Regenjacke zu schützen versuchte. Die Tiere benutzten jetzt die Hände und das Gesicht als Landefläche. Aber die Jacke war genug dicht, dass ich jetzt wenigstens am Körper nicht mehr gestochen wurde.

Lange Zeit waren wir wenig glücklich mit dem Fischen, erst als Nelo den Haken an einer fetten Schnur mit einem noch fetteren Wurm bestückte, ging es nicht lange, bis wir erfolgreich waren. Und wie! Ein wohl acht Kilogramm schwerer Bakú fiel auf unsere Falle herein, und wir konnten das sich verzweifelt wehrende Tier an Land hieven. Wir steckten den riesigen Fisch in eine grosse Tüte und lagerten diese im Fluss. Erst morgen wird es dann ein Festessen geben, heute wäre so viel Fisch einfach zu reichlich. Wir versuchten jetzt, noch einen kleineren Fisch zu fangen, aber diesmal war uns das Glück nicht hold. Deshalb war ich unterdessen daran, über dem Feuer wieder einmal eine neue Art Pasta zuzubereiten.

Nach dem Essen machten wir uns per Boot auf die Suche nach Alligatoren. Tatsächlich entdeckten wir die typisch orange leuchtenden Augen einiger weniger Tiere aus leider zu grosser Entfernung. Der Wasserstand des Flusses ist momentan zu hoch, sodass sich die hier zu Hauf vorkommenden Tiere viel mehr verteilen. Nochmals machte Nelo einen Versuch, einen kleineren Fisch aus dem Fluss herauszuholen – ohne Erfolg. Nelo wäre gerne bereit gewesen, noch weiter zu fischen, aber die extrem tropischen Verhältnisse hatten uns todmüde gemacht, zudem nervten die Millionen von Insekten. Gleichwohl ist es unterdessen bereits Mitternacht. Morgen geht’s wohl schon früh auf eine weitere Expedition, den Brotteig mussten wir in Sams Koffer in Sicherheit bringen, weil sich am Strand unzählige Sandratten tummeln…

Km: 73‘560 (0)

Sa, 27.05.2017: Sechs Bakús und zweihundert Stiche

Zwischen Innen- und tropfnassem Aussenzelt tummelten sich Horden von Moskitos, die nur darauf warteten, dass ich aufstehen würde, um mich als Opfer ihrer Überallattacken auswählen zu können. Die Nebel strichen über die braunen Wasser des Flusses. Schnell war ein Feuer entfacht, um Kaffee zu brauen und um sich in den Schutz des Rauches zu begeben, um nicht weiter verstochen zu werden. Die durchnässten Sandbänke ziehen nicht nur Mücken an, sondern auch ein ganzes Heer von Sandfliegen, die gestern ganze Arbeit geleistet hatten. Trotz Hosen und dünnem Pullover hatten diese lästigen Tiere Aufsetzpunkte gefunden, um nicht dutzend-, sondern hundertfach zuzustechen. Die Male der Sandfliegen jucken beinahe noch ärger als diejenigen der Mücken und zeichnen einen roten Vorhof um die Stiche, die Ellbogen sind leicht geschwollen, ich scheine wie partielle Masern zu haben.

Nelo war schon früh unterwegs zu einer Sandbank, wo er weitere Fische zu fangen hoffte. Über Nacht hatten wir die dicken Nylonfäden nahe unseres Lagerplatzes im Wasser gelassen, als Sam entdeckte, dass sich die am Silch aufgehängten, alten Plastiksäcke verschoben hatten, ein untrügliches Zeichen, dass sich die Schnur bewegt hatte und ein Fisch gebissen hatte. In Windeseile war er dort und zog den dicken Silch mit einem Ruck an Land – und siehe da. Ein weiterer wunderschönen Bakú hatte angebissen, kämpfte an Land verzweifelt um sein Leben und wurde ebenfalls in die grosse Tüte gesteckt, wo schon der gestern gefangene Fisch sein Leben fristete. Wenig später kam Nelo zurück vom Strand auf der anderen Seite des Rio Hondo. Auch er war zweifach erfolgreich gewesen.

Eines der Opfer war schnell ausgenommen, das für unseren Grill zwar überdimensioniert war, der aber gerade noch genug gross war, dass der Fisch nicht ein Raub des Feuers wurde. Als schwierig stellte sich das Wenden des Fisches heraus. Leider verloren wir dabei einige von den zuvor gesteckten Knoblauchstücken, aber jetzt war die Glut genau richtig, um auf der Rückseite eine goldbraune Kruste zu erhalten. Wohl weit mehr als drei Kilogramm schwer war der Fisch, den wir jetzt vorwiegend von Hand assen – ein kulinarisches Gedicht. Überaus wohl genährt folgten wir jetzt dem Fluss stromabwärts, hielten an zwei Stellen mit Rückwasser an, um unser Glück nochmals zu versuchen. Und noch einmal war Sam erfolgreich und zog ein weiteres Exemplar der am Boden des Flusses äsenden Fische aus dem Wasser. Geil! In dieser Zeit war ich zu Fuss unterwegs an einem Nebenfluss des Rio Beni und konnte verschiedene noch nie gesehene Vögel beobachten, unter anderem riesige pinke Enten (Garsa rosada), die ich mit meinem Erscheinen überraschte und sofort die Flucht ergriffen.

Wir wollten beim Eingang des Nationalparkes übernachten. Ein Schild wies uns darauf hin, dass im Nationalpark nicht gefischt werden darf. Der Parkwächter begleitete uns aber gleichwohl nochmals auf den Fluss (!), wo wir einen Catfish (Bagre) fangen wollten. Bis weit in die Nacht wurde unsere Geduld geprüft, aber diesmal hatten wir kein Glück. Dafür sahen wir einige Alligatoren, meist junge Exemplare und vor allem ein riesiges Säugetier namens Kakibarra, das am Flussrand im Dunkeln am Äsen war. Noch am Morgen passierte an dieser Stelle ein ganzes Rudel dieser eigenartigen Tiere, verfolgt von einem riesigen Alligator.

Im Rangerhaus kochten wir Reis und zwei Büchsen Corned Beef, Nelo erzählte uns viele Geschichten über seinen fünfjährigen Aufenthalt in Norditalien, wo er für fünf Euro die Stunde an verschiedenen Orten gearbeitet hatte. Er machte sich lustig über Aufenthalte in Restaurants, wo einem zum Essen dreierlei Besteck und Gläser angeboten werden… Andere Länder, andere Sitten!

Auch dieser Tag hatte mich über alle Massen geschlaucht. Ich war am Abend todmüde. Meine verstochenen Beine hatte ich unterdessen blutig gekratzt und versuchte das Jucken mit Tiger Balsam zu lindern. Ich schlummerte sofort weg und betrat den Tunnel der Träume, ich mochte nicht einmal mehr Tagebuch zu schreiben.

Km: 73‘560 (0)

So, 28.05.2017: Balsa-Studien und Ceviche

Wir übernachteten zwanzig Meter oberhalb des Flusses unter dem Vordach des Rangerhauses. Hier hatte es wesentlich weniger stechende Insekten. Auch heute Morgen war es neblig trüb. Eigentlich wollte ich mich nach dem Frühstück auf einen Spaziergang durch den Dschungel machen, aber Nelo und der Ranger rieten mir ab, weil der Aussichtspunkt im Nebel lag und der Weg momentan äusserst glitschig sei. Zudem hat sich seit meinem Sturz vor einigen Tagen der Zustand meines Fusses wieder verschlechtert. Etwas scheint instabil zu sein, vor allem schmerzt das Innenband, das scheinbar noch nie vollständig verheilt ist.

So waren wir bald wieder unterwegs auf dem Fluss. Im Hinterwasser am Rand eines Dorfes versuchten wir nochmals unser Glück als Fischer. Aber wieder war nicht ich es, der Glück hatte, sondern Sam, der diesmal einen Wels (Bagre) aus dem Wasser zog. Wenig später biss an anderer Stelle noch ein zweiter Catfish an, dessen Anwesenheit auf dem Boot nicht ganz ungefährlich war, weil er auf den Seiten harte, ultraspitze Stacheln hatte, die einem leicht das Bein hätten aufreissen können. Nelo versuchte ihn mit Schlägen auf den Kopf ruhig zu stellen. Er erzählte, dass diese Fische unglaublich zäh sind und fast nicht zu töten sind, weil sie so stark gebaut sind. Hier begannen Sam und ich auch mit Holzstudien, indem wir einen kleinen Balsa-Baum fällten und erkannten, wie leicht dieses Holz ist und deshalb wohl geeigneter für einen Flossbau ist als Bambus. Zudem lässt sich die extrem zähe Rinde dazu verwenden, Balsa-Stämme zusammenzubinden.

Kurz vor Rurre erreichten wir ein verlassenes, aufgegebenes Resort mit zwei Wasserfällen und einigen Pools, in denen es sich schön schwimmen lässt. Hier begann Nelo, aus einem der beiden Bagres Ceviche zuzubereiten, südamerikanische Art von Sashimi, fein geschnittenes, rohes Fischfleisch, gewürzt mit viel Knoblauch und Zwiebeln und dem Saft gleich mehrerer Limonen, für mich eine etwas saure Angelegenheit, ich hätte wohl mit etwas mehr Olivenöl und Gewürzen gearbeitet.

Es war jetzt noch ein Katzensprung zurück ins Dorf. Eigentlich hätten wir bei Nelos Familie übernachten können, aber wir zogen es vor, wieder zum Hotel Tucanes zu fahren. Der Smalltalk in Spanisch ist anstrengend, mir war mehr nach einem ruhigen Abend mit einem Bier. Wir zahlten Nelo je 600 Bs (85 Fr.) für die drei Tage Trip, etwas mehr als wir erwartet hatten. Aber wir haben doch einiges dazugelernt, wie man fischt und welches Holz sich für einen Flossbau eignet. Für einen offiziellen Touri-Trip hätten wir das Dreifache bezahlt.

Km: 73‘561 (1)

Mo, 29.05.2017: Ruhiger Tag in Rurre

Obwohl es heute den ganzen Tag grau war und zeitweise nieselte, nahm ich mich am Morgen meiner Wäsche an (obwohl das Waschen im Waschtrog eigenartigerweise verboten ist), erstens derjenigen vom Fischertrip, zweitens der vermeintlich von der Garfield Laundry gereinigten, die nach dem Waschen mehr stank als vorher, die tropischen Feuchtigkeitbakterien hatten ganze Arbeit geleistet. Ich hängte die Teile auf die Terrasse, aber es war so feucht heute, dass ich am Abend eine Schnur quer durchs Zimmer spannte und die noch feuchten Stücke per Ventilator fertig trocknete – dies funktioniert immer (falls es Strom hat).

Im Verlaufe des Tages widmete ich mich meinen vielen neuen Fotos, die ich für den Blog vorbereitete. Das Internet ist aber so schlecht hier, dass ich nie auf meine Webseite kam. Diese Arbeit muss wohl bis La Paz warten.

Gegen Abend hängte ich mit vielen jungen Leuten in der Hängematte. Zu sechst besuchten wir noch einmal die Pizzeria, die von einer Italienerin geführt wird. Dann nutzten wir die Happy Hour in der Luna Bar, aber die Pinacoladas waren eine Katastrophe, dafür trafen wir auf eine Gruppe Jungs, die wir schon in Sucre kennengelernt hatten.

Wir verwarfen heute auch die Idee, nochmals an einer Tour teilzunehmen, um noch weitere Urwaldtiere zu sehen, morgen geht’s wohl weiter Richtung Hauptstadt – und zurück in die Kälte…

Km: 73‘561 (0)

Di, 30.05.2017: Peter, der schweizerisch-bolivianische Kommunist und Töfffanatiker

Wir liessen uns Zeit am Morgen, machten unsere Motorräder fahrbereit, waren mit Maria nochmals in der kleinen Stadt für ein billiges, wohl schmeckendes Mittagessen. Erst nach zwei Uhr verliessen wir das Hotel Tucanes, wollten aber auf dem bekannten Mirador noch schnell bei einer Freundin einer Kollegin Sams vorbeischauen und einen Gruss ausrichten. Diese Dame war aber nicht hier, auch nicht deren Schweizer Vater Jorge, der hier oben ein grossartiges Anwesen mit Swimmingpool und schöner Aussicht gebaut hatte, sich vor anderthalb Jahren aber das Leben genommen hatte.

Dafür beschäftigten wir uns hier oben wieder einmal mit dem Kühler meiner Yamaha, die wieder einmal grüne Tränen weinte, als ob sie sich weigern wollte, diesen milden, tropischen Ort zu verlassen. Mit Poxipol, dem genialen südamerikanischen Superleim, befestigten wir das Aluminiumplättchen, das mir damals im Januar ein australischer Mechaniker hergestellt hatte. Wir warteten auf der schönen Terrasse, bis der Leim trocknete, als Peter, ein siebzigjähriger weiterer Schweizer, der schon seit vielen Jahren in Rurrenabaque wohnt, seine Aufwartung machte. Es entwickelte sich eine interessante Diskussion, zuerst über Politik, in der sich Peter bald als waschechter, etwas verklärter, aber überaus gutartiger Kommunist outete. Er blieb hier hängen als Saurer-Mechaniker, importierte auch zehn solche Fahrzeuge ins Land, verliebte sich in eine Einheimische, die er bald heiratete, notabene sogar zweimal, nachdem man sich nach einigen Jahren hatte scheiden lassen…

Bald wechselten die Gespräche aber auf die Ebene der Motorräder. Peter war vor vierzig Jahren der erste, der Rurre per Motorrad erreichte. Er berichtete über die Entwicklungsfortschritte Boliviens unter dem sozialistischen Präsidenten Evo Morales. Tatsächlich gibt es heute eine Strasse in dieses grössere Dorf. Er bewohnt in der Stadt eine von aussen unscheinbare, innen aber mit viel Tropenholz ausgebaute Villa, seine japanisch-stämmige Frau befindet sich momentan in der Schweiz, wo sie ihren Grossmutterpflichten nachgeht. Peter scheint mir momentan hier etwas verloren zu sein, sich aber doch wohl zu fühlen. Er berichtete, wie viele Menschen hier über den Drogenhandel zu etwas Geld gekommen sind und glaubt, dass Bolivien mit seinen immensen Bodenschätzen eine gloriose Zeit bevorsteht.

Unterdessen hatte es zu regnen begonnen, und wir verwarfen die Idee, diesen „klebrigen“ Ort heute tatsächlich zu verlassen. Wir posierten mit dem riesigen, hier wohnenden, halbzahmen Ara, bevor wir den jetzt überaus glitschigen, steilen Weg zurück zur Stadt unter die Räder nahmen und bereits zum vierten Mal im Hotel Tucanes eincheckten. Dann flanierten wir mit Peter zum Julian’s, einem guten Restaurant, wo ich wieder einmal ein argentinisches Steak bestellte.

Dann besichtigten wir Peters Villa. Sam hatte einen idealen Gesprächspartner gefunden, um über Motorräder und deren Motoren zu diskutieren. Als wir um Mitternacht Peters Haus verliessen, verfolgten wir auf dem Zentralplatz ein Fest mit traditioneller Musik, wo wir auf Nelo stiessen, der uns einen süffigen Grappa-Milch-Drink offerierte. Wir blieben aber nicht sehr lange. Jetzt sind wir im Zimmer 18, wieder auf der etwas ruhigeren Seite des Hotels, vielleicht lässt es sich hier wieder etwas länger schlafen.

Km: 73‘566 (5)

Mi, 31.05.2017: Nieselregen im Regenwald

Wir hatten ein ganz klares Ziel heute, nämlich endlich aus Rurrenabaque wegzukommen. Ich hoffte, dass die frisch geleimte Stelle bei meinem Kühler dicht bleibt, auch wenn sich der Leim erhitzt. Beim einem Auto Repuesto kaufte ich eine Flasche grünes Kühlwasser, das ich per Schlauch in Kühler und Plastiktank leerte. Sam wechselte bei seiner Honda die hinteren Bremsbeläge, die auf dem Schlammtrip verschlissen wurden.

Es war grau und trüb heute Morgen, erneut untypisches, tropisches Wetter am Anfang der Trockenzeit. Die ersten hundert Kilometer bis Yucumo kannten wir von der Hinfahrt. Hier tankten wir und fuhren dann geradewegs in die Dschungelberge Boliviens. Wir hatten keine Ahnung, wie weit wir kommen würden, denn schon nach weiteren vierzig Kilometern wussten wir, dass die Strasse des Tags wegen Bauarbeiten eigentlich gesperrt ist. Tatsächlich hörte hier punktgenau die geteerte Strasse auf, und auf einem Schild wurde man auf die Sperrung hingewiesen. Es hatte tatsächlich auch kaum Verkehr, aber wir wollten einfach so weit fahren wie möglich.

Wir hatten in der Folge gleich mehrere noch nicht sehr hohe, dicht bewaldete Hügelketten zu überwinden. Der Wind blies die feuchten Nebelschwaden gegen die Hänge, sodass es zu nieseln begann – und umso stärker, je höher wir aufstiegen. Aber immer wurde es auf der Lee-Seite der dicht bewaldeten Hügel wieder trocken, manchmal konnten wir gar geteerte Abschnitte befahren. Wir erreichten den vom Fischertrip schon bekannten Rio Beni, den wir auf einer Betonbrücke überquerten. Das Wetter war hier recht freundlich, aber nicht mehr für lange, denn jetzt war der Bella Vista Pass zu erklimmen, nur 1500 m.ü.M. hoch, aber dies reichte für ein ziemliches Fahrabenteuer. Erstens war die Strasse jetzt sehr zäh zu befahren, weil sie immer wieder mit rundem Kies besetzt und voller Schlaglöcher war. Vor kurzer Zeit mussten Erdrutsche beseitigt worden sein, sodass der Strassenuntergrund noch sehr tief war. Je weiter wir aufstiegen, desto garstiger wurde das Wetter. Der dichte und wilde Regenwald machte seinem Namen alle Ehre. Es nieselte immer stärker. Die teils enge, kurvenreiche Strasse glich einem Sturzbach, aber der entstehende Schlamm war noch so gut mit dem Kies verbunden, dass wir doch einigermassen gut vorwärtskamen. Nach der Passhöhe wurde es beinahe von einem auf den andern Meter wieder trocken, zudem war die Strasse hier viel besser ausgebaut, aber man hatte sich hier an eine schräge Regelung zu halten. Im Bereich der Baustelle setzt man links geführten Verkehr durch! Entgegenkommende Fahrzeuge wiesen mich auf dieses unsinnige Gebot hin, weil ich das entsprechende Schild übersehen hatte. Ich hatte also wieder einmal linksseitig zu fahren – keine Ahnung aus welchem Grund. Weil es jetzt fünf Uhr abends war, wurde der Verkehr recht stark, denn die Strasse wurde über Nacht geöffnet.

Nach wenigen Kilometer zweigten wir ab auf einen lehmigen Weg auf eine Anhöhe. Der Riecher war gut – mitten im luschen Dschungel fanden wir eine waldlose Stelle, flach und versteckt, also ideal geeignet zum Campieren. Wir fanden sogar genügend Holz für ein Feuer. Was mich momentan belastet, sind die Rückenschmerzen, die ich mir gestern beim Aufstellen des Töffs geholt hatte… Ich weiss fast nicht, wie ich liegen soll.

Km: 73‘807 (241)

Do, 01.06.2017: Von baustellenbedingtem Linksverkehr und einer Todesstrasse

Es war eine Herausforderung heute Morgen, einigermassen schmerzfrei aus dem Zelt zu steigen, denn die Nachtruhe hatte kaum zu einer Linderung meiner Rückenschmerzen beigetragen. Ich war extrem eingeschränkt mit meinen Bewegungen, konnte kaum die Schuhe anziehen. Am besten blieb ich aufrecht stehen, sodass sich die Verkrampfung etwas löste. Ich brachte überraschend schnell ein Feuer zustande, genoss bolivianischen Kaffee und begann, meine Sachen zusammenzuräumen, aber ich war ziemlich langsam unterwegs.

Als wir losfuhren, schien die Sonne. Die Strasse talwärts war meist sehr gut ausgebaut, sodass wir die Talsohle bald erreicht hatten und mit einem Schild darauf hingewiesen wurden, dass jetzt wieder Rechtsverkehr herrscht (!). Die Strasse bis Caranavi hoch über einer Schlucht war meist geteert, aber zuweilen sah man braunrote Geländenarben hoch über uns, Erdrutsche hatten noch vor kurzer Zeit Teile der Strasse verschüttet. Dann folgten wir dem Flusslauf in einem Tal, das immer enger wurde. Bald erreichten wir den Anfang einer weiteren Baustelle. Nach einer halben Stunde liess man uns im Gegensatz zu den wartenden Autos und Lastwagen ziehen. Es war ein dauernder Wechsel zwischen beinahe fertig gestellten und schmalen, schlammigen Strassenabschnitten. Bewaldete Hänge sind der Strasse zum Opfer gefallen – und die Natur rächt sich jetzt, indem immer wieder Erdrutsche die neue Strasse verschütten. Das Flusstal wurde immer enger, zwei Tunnels sind im Bau, aber überschwemmt, sodass man auf engem Fahrweg steilen Felsabstürzen entlang dem Schlamm zu entkommen versucht. Schliesslich hatten wir aber auch diese Baustelle überwunden.

Bei Coroico trafen wir auf mehrere Touristengruppen, die auf Mountain Bikes die Ruta de la Muerte hinuntergesaust kamen. Auch hier wird einem der Linksverkehr aufgezwungen, jetzt besonders gefährlich, weil sich die Touristen immer wieder vergassen und auf der rechten Strassenseite talwärts rasten. Diese Death Road wollten natürlich auch wir uns nicht entgehen lassen. Es handelt sich um die alte, sehr schmale Staatsstrasse, die jahrzehntelang benutzt wurde und in den Dreissigerjahren von paraguayanischen Häftlichen in Fronarbeit gebaut wurde. Nur so konnte die Provinz Beni erreicht werden. Auf 28 km machten wir eine Höhendifferenz von zweitausend Metern. Der Fahrweg schlängelt sich den steilen Regenwaldhängen in tausend Kurven immer höher, ein imposantes Erlebnis, weil die Chance, gleich Hunderte Meter abzustürzen, nicht ganz klein ist. Es musste auch hier noch vor kurzer Zeit geregnet haben, denn das Wasser stürzte von senkrechten, mit mastigen, tropischen Pflanzen bewachsenen Felsen direkt auf die Strasse und bescherte uns gleich mehrere unfreiwillige Duschen. Unterdessen zogen Nebel um die steilen, grünen Hänge, machte die Fahrt nicht einfacher, aber noch spannender. Zuweilen schlammige Stellen konnten uns nicht erschüttern, weil wir schon viel schlechtere Strassen befahren hatten. Offensichtlich lernt man mit jedem befahrenen schwierigen Abschnitt dazu, sodass uns auch die steilsten Abstürze nicht erschüttern konnten.

Schliesslich hatten wir 3100 m.ü.M. erreicht, es war deutlich kühler hier oben. Jetzt campieren wir auf einem weichen, moosigen Platz. Es war wiederum nicht einfach, ein Feuer hinzukriegen, weil  das Holz einfach zu feucht ist. Aber schliesslich reichte die Glut zu kochen. Es ist unterdessen zehn Uhr, ich stütze meinen Rücken, der mich noch immer massiv behindert. Ich bin froh, dass es überhaupt möglich ist zu fahren.

Km: 73‘935 (128)

Fr, 02.06.2017: Zwischen Schmerzen und Begeisterung

Solange ich am Morgen auf dem Rücken liegen blieb, war ich fast schmerzfrei. Deshalb blieb ich lange liegen, um dem schmerzerfüllten Aufstehen noch eine Weile ausweichen zu können. Schliesslich kämpfte ich mich auf den Knien ins Freie, wo die Sonne längst begonnen hatte, die rekordfeuchten Zeltwände abzutrocknen. Es war eine Tortur, auf die Beine zu kommen, die Verkrampfung verstärkte die Schmerzen im Rücken, sodass es fast nicht auszuhalten war. Ich musste tatsächlich zu einer Schmerztablette greifen.

Nur mühsam bewegte ich mich zwischen Zelt und Feuerstelle, wo Sam schon daran war, mit dem feuchten Holz ein Feuer zu entfachen, auf dem er den vorbereiteten Brotteig in herrliche Brötchen verwandelte. Allmählich war ich wenigstens fähig, mich zu bewegen und zu beginnen, in aller Langsamkeit meinen Kram zusammenzupacken.

Schliesslich waren wir bereit loszufahren, tatsächlich war ich dazu in der Lage, auch wenn es lästig war, den Fuss für das Schalten zu heben. Wir hatten die geteerte Hauptstrasse Richtung La Paz bald erreicht. Jetzt waren sie wieder sichtbar, die Bergriesen der Anden, schroff braun-felsig. Wir verliessen den Regenwald und fuhren in vielen Kehren hoch zum imposanten Paso La Cumbre, 4660 m.ü.M. gelegen. Die Berge hier oben waren frisch verschneit, es ist wohl noch nicht lange her, dass die Passstrasse verschneit war. Heute genossen wir jedoch das klare Wetter und die Aussicht auf diese gewaltige Bergwelt. Was für ein Szenenwechsel!

Es waren jetzt nur noch 26 km zu fahren bis nach La Paz, das man sich so vorstellen muss, als ob zwischen Gornergrat und Matterhorn ein Riesen-Zermatt steht. An steilen Hängen ist hier oben eine Grossstadt entstanden, die einfachen Gebäude bestehen aus einfachen Backsteinen, die Räume sind natürlich nicht isoliert, obwohl es sehr kalt ist auf 3700 m.ü.M., wo sich schon so berühmte Fussballmannschaften wegen der dünnen Luft so schwer getan haben, unlängst Argentinien, das hier gegen die einheimische Nationalmannschaft sang- und klanglos 0:2 eingegangen ist.

Wir fuhren von oben ein in diese faszinierend aussehende Stadt, wie Pilze stehen die kleinen, orangen Gebäude an den steilen Hängen und Felswänden. Das Zentrum wird beherrscht von einigen Hochhäusern, die Fahrt zum Scarlet Hostel war ein Erlebnis für sich, weil sich die Strassen in teils unglaublicher Steilheit durch die Gebäude winden. Die richtig heisse Dusche war Gold für meinen Rücken, sodass ich jetzt sogar fähig für ein Bier war… Wir hielten Ausschau nach einem Yamaha-Geschäft, wo wir die nötigen Kupplungsscheiben für meinen Töff zu finden hoffen – die Kupplung scheint in den Endzügen zu sein…

Natürlich waren wir am Abend unterwegs in der Innenstadt, in der es von Menschen nur so wuselt. Wir assen an einem Stand einen einfachen Hamburger, durchquerten ein Ladengebäude, in dem nichts horizontal zu sein scheint, nicht einmal die Verbindungswege, wunderten uns lange über einen kleinen Laden, in dem alle Arten von Alkohol angeboten wurden, sogar Baileys mit Dulce Leche, abgefüllte Dreiliterflaschen mit Cola-Rum. Es war ein unglaublicher Betrieb auf den Gassen. Zufällig stiessen wir auf die schräge Hexengasse, wo einem die verschiedensten Wunder-Zaubermittel inklusive ausgestopfte Lama-Föten verkauft werden. Auf der Plaza San Francisco war ein Verkehrsclown damit beschäftigt, eine grosse Menge Menschen zu unterhalten. Mein Rücken fühlte sich unterdessen müde an, und ich wollte ihm die nötige Ruhe gönnen. Sam war in Hochform und wollte dem Loki Hostel einen Besuch abstatten und eine der legendären Partys geniessen – ich machte mich durch die dunklen Gassen La Paz‘ auf den Heimweg.

Km: 73‘998 (63)

Sa, 03.06.2017: Schonung für den Rücken und ein Blogtag

Als ich am Morgen mit Ach und Krach aufstand, war ich überrascht, dass Sam nicht im Kajütenbett nebenan lag. Ich versuchte mit einer heissen Dusche meinem Rücken zu entspannen. Dann hatte ich einen Messenger-Kontakt mit Erik, meinem Motorrad-Fernheiler, der mir eine genaue Abbildung der Kupplungsteile und die Original Seriennummern sandte. Super und danke, Erik! Eigentlich wollten wir mit dieser Abbildung auf den grossen Motorrad-Ersatzteil-Markt gehen, um das Teil vielleicht zu finden.

Ich machte mir schon Sorgen, wo Sam wohl geblieben war, als er gegen Mittag erschien – er war ziemlich abgestürzt und hatte irgendwo auf der Gasse übernachtet. Leider vermisst er jetzt seine Brille, die er irgendwo hat liegen lassen. Er machte sich auf die Suche nach seiner Brille und ist jetzt am Nachholen seiner Nachtruhe… Da ist die Lust natürlich nicht gross, mit mir auf den Motorrad-Ersatzteil-Markt zu kommen…

Deshalb war ich lange am Bearbeiten der Fotos der bewegten vergangenen Wochen und schaffte es, den Blog Teil 33 online zu stellen.

Km: 73‘998 (0)

So, 04.06.2017: Fauler Sonntag und Abklärungen zu einer neuen Kupplung

Ich traf am Morgen auf einen Neuseeländer, der mit seiner 400-er-Honda ebenfalls auf ziemlich wilden Wegen Südamerika bereist – eine spannende Begegnung. Der Tag galt vor allem der Erholung. Ich kümmerte mich um Eriks Infos bezüglich der Masse einer neuen Kupplung, die wir morgen in La Paz zu finden hoffen.

 

Am Abend besuchte ich mit Sam ein bolivianisches Restaurant, geführt von einem Holländer. Es war herrlich warm in seiner Bude, die Spezialitäten waren gut und reichlich. Dann besuchten wir das Loki Hostel mit seiner Bar im siebten Stock. Netter Abend!

 

Und: Dem Rücken geht es etwas besser!

Km: 73‘998 (0)

Mo, 05.06.2017: Das Nützliche mit etwas Sightseeing verbinden

Nach dem Frühstück waren wir unterwegs ins San-Pedro-Viertel, um in den Motorrad-Repuestos nach einer Kupplung zu suchen. Aber wir waren etwas zu spät – nach eins Uhr gilt in Südamerika auch auf diesen Höhen Siesta. Wir wurden aber zu einem nahen Yamaha-Shop gewiesen, den wir bald erreicht hatten. Tatsächlich stand dort eine neue Tenéré, aber Ersatzteile gab es hier nicht. Wir wurden in den Osten der Stadt geschickt, wo es in einem weiteren Yamaha-Shop Ersatzteile geben sollte.

 

Dieser Ort war aber zehn Kilometer entfernt, sodass wir die Gelegenheit nutzten, per nigelnagelneuen, schweizerischen Doppelmayr-Gondelbahnen über die verschachtelten Gebäude der Stadt zu schweben und recht bequem zu den am tiefsten gelegenen Stellen der Stadt zu gelangen. Wir waren überrascht, dass wir hier ein ganz anderes La Paz kennen lernten mit Villen, guten Geschäften, fast leeren Strassen – und einem Yamaha-Geschäft, in dem man uns auch nicht weiterhelfen konnte. So traten wir erneut per Seilbahn den Rückweg in die Innenstadt an, wechselten bald in die gelbe Bahn, die uns hoch nach El Alto bringen sollte. Dieser viel ärmlichere Stadtteil nahe des Flughafens liegt auf über 4000 m.ü.M.; hier oben gärt es förmlich. Einige Einheimische schauen einem schräg an, andere freuen sich, dass sich Touristen in diesem vor allem in der Nacht etwas gefährlichen Stadtteil wagen. Wir durchquerten einen weiteren Hexen- und Heilermarkt. Vor schummrigen Baracken brannten kleine Feuer, die mit ihren Zusätzen eigenartig rochen. Wiederum wurden Beratungen, Wahrsagereien, allerlei schräge Heilmittel, erneut die ausgestopften Junglamas, wohl sehr viel Scharlatanerei angeboten - gleich neben der grossen katholischen Kirche gelegen. Hier oben wuselte es wieder von Menschen, dick und farbig gekleidete Frauen mit ihren vermeintlich zu klein geratenen Hüten boten ihre wenigen Waren an. Drei Kilometer folgten wir der Calle Panoramico, bevor uns eine weitere Seilbahn wieder zurück in die Innenstadt brachte. Die Aussicht von Gondeln ist tatsächlich einzigartig, weil man in die armseligen Höfe der Häuser, aber auch in die gepflegten Gärten der reicheren Leute sieht. Wir überquerten den riesigen Zentralfriedhof mit den unzähligen, teils uralten Urnengräbern.

 

Am Abend besuchten wir auf dem Weg in ein japanisches Restaurant nochmals den Töfflimarkt, aber diesmal waren wir zu spät – die Läden waren schon geschlossen, wie auch das Restaurant. Als Ersatz fanden wir einen Koreaner, wo das Essen aber nur mittelmässig war.

Km: 73‘998 (0)

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Kommentare: 5
  • #1

    Hildegard (Sonntag, 04 Juni 2017 09:16)

    Ich habs gerochen, dass wieder ein Bericht zu lesen ist. Unglaublich!!!!!!, die Schlammschlacht! Und dass ihr und eure Maschinen das ausgehalten habt! Merci für die schönen Fotos.

  • #2

    Oli (Montag, 05 Juni 2017 17:51)

    Mann Sturzi und Sam - mehr geht ja nicht!
    Das war jetzt ein vergnüglicher Lesenachmittag in der gemütlichen Stube! Die Geschichten und vor allem auch die Bilder sind sehr vergnüglich. So viel Reise in einem Monat ist schon Hammer! Ich denke, dass du dir solche Abenteuer zu Beginn Deiner Reise nicht zugetraut hättest. Aber man wächst immer an der Aufgabe. Chapeau!
    Ich wünsch euch beiden weiterhin viel Glück und natürlich erstmal gute Genesung (nicht zu schnell absetzen mit den Entzündungshemmern!)

  • #3

    iso (Sonntag, 11 Juni 2017 12:37)

    Uff, hab diesmal länger gehabt beim Lesen als auch schon. War mir zum Teil etwas gar wenig aamächelig. Schlammschlacht, Schlammlawinen, Schlammbäder, Schlamassel..... Bin froh, beim geistig Mitreisen nun endlich wieder in der Trockenheit und Zivilisation von La Paz angekommen zu sein. Trotzdem ist Südamerika für mich deutlich reizvoller als der ferne Osten. Und interessant die Feststellung in Sucre: So viele Bilder von einem Anlass wie von diesem bolivianischen Trachtentanz-Abend hast du die ganze Reise über wohl noch nirgends gepostet. Könnte es sein, dass dich die Tänzerinnen noch etwas mehr interessiert haben als die Tänze?
    Anyway: Hoffe, weder dein Rücken und der Fuss noch altersschwache Kupplungsscheiben oder verlorene Brillen machen euch einen Strich durch die Rechnung weiter hinein in den Regenwald und Richtung Amazonas. Gute Fahrt, ihr Wahnsinnigen!

  • #4

    Ruth und Eugen ( Donnerstag 6.Juli 2017) (Donnerstag, 06 Juli 2017 14:03)

    Hallo Ihr zwei Weltenbummler,
    es ist kaum zu glauben durch welche Strapazen Ihr Euch da durchkämpft. Dass Ihr dabei noch Lust habt um Kapriolen zu
    machen ist direkt bewundernswert. Vor allem ist es ein Wunder wie Eure Maschinen das alles mitmachen. Die Schutzengel müssen da ja wirklich Ueberstunden leisten damit Euch nichts Schlimmes passiert.
    Hoffen dass es dem Rücken besser geht! Falls Schmerzen auch in den Beinen zu spüren sind
    könnte evt. eine Bandscheibe einen Nerv tangieren. Eine Abklärung wäre dann sehr zu empfehlen.
    Bei uns herrscht herrliches Sommerwetter und wir schicken Euch eine ganze Ladung Wärme.
    Weiter eine trockene und unfallfreie Weiterreise wünschen Euch beiden.
    Die spannenden Berichte und die Photos freuen uns immer sehr!

  • #5

    José (Dienstag, 01 August 2017 02:07)

    It has been a while since I read your blog. While I had my battles with mud in central Australia (VW Kombi 1984), then with the Toyotal Landcruiser (which you drove too) during the late 80's/early 90's and during the turn of the Millennium with a Nissan Patrol (while prviding the most comfort with the large 4.2l 6cyl engine) and had the luxery of integrated power winches - this is nothing compared to the endurance, longevity of your encounters. �

    Good reading you and hope you have recovered.

    YOLO = You Only Live Once

    Take care & cheers

    José olé