Teil 06: Georgien - Yerevan/Armenien

Je weiter es gegen Osten geht, desto spannender die Erlebnisse und umso gewaltiger die Landschaften, die Gastfreundschaft der Menschen. Es ist einfach grandios!

In wenigen Tagen geht's dann in den Iran. Da sehen wir dann, wie ich mit den hohen Temperaturen (bis 42°C) zu Schlag komme...
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Mo, 29.06.2015: Batumi – Slow down…

Es war ein mühsames Aufstehen heute Morgen, denn der Sturz hat meine Leiste doch ziemlich in Mitleidenschaft gezogen. Das heisst für mich „slow down“, sodass ich mich entschloss, einen zusätzlichen Tag in Batumi zu verbringen, weil auch die Wetterprognosen für morgen nicht gerade toll sind. Es war mir egal, dass meine jungen Kollegen aus der Ukraine wohl noch mehr verkatert waren als ich und ich den ganzen Tag meine Ruhe hatte. Nach dem grossen Frühstücksbuffet in einem nahen, besseren Hotel (26 GEL) machte ich einen gemütlichen Spaziergang durch die Stadt. Batumi verströmt einen Hauch von Las Vegas, es gibt einige ganz schräg beleuchtete, futuristische Gebäude in dieser Stadt.

Es ist aber auch zu erkennen, dass das Land lange unter russischem Einfluss gestanden ist. Am Nachmittag wusch ich die Kleider, schrieb etwas am Tagebuch. Ich würde mir wünschen, dass meine Zerrung bald etwas verheilt. Aber schliesslich hatte ich ja Glück im Unglück. Ein anderes Mal riss ich mir auch schon die Kreuzbänder. Und dies wäre jetzt wirklich nicht toll. Aber ich hintersinne mich schon, dass dieser Unfall passiert ist. Dabei gebe ich mir alle Mühe, wirklich vorsichtig unterwegs zu sein.

Am Abend ging ich nochmals aus und ass ausgezeichnete Sushi. Anschliessend liess ich es mir nicht nehmen, in einem Sheraton-Casino bei einem Tischpoker-Spiel mein Glück zu versuchen. Aber ich war wenig erfolgreich und verliess die nicht wirklich grosse Anlage schon nach zwei Stunden wieder.

Km: 6832

Di, 30.06.2015: Batumi – ein weiterer ruhiger Tag

Meine Zerrung verheilt natürlich weniger schnell, als ich gehofft hatte. Ich kann zwar recht gut gehen, aber es ist recht mühsam aufzustehen. Ich werde noch eine Probefahrt machen, ob ich überhaupt fähig bin, morgen weiterzureisen. Die Wetterprognosen sind auch nur leicht besser für die nächsten Tage. Das Tiefdruckgebiet scheint mich wirklich zu verfolgen.

So arbeitete ich heute an meinem Blog und an den Fotos und benutzte zum ersten Mal mein installiertes Skype und hatte einen kurzen Kontakt mit Mäsi im Böl.

Als ich am Nachmittag endlich eine Probefahrt machen wollte, um herauszufinden, ob morgen eine Weiterreise möglich ist, sprach mich gleich vor meinem Guesthouse ein etwa 60-jähriger Genfer an, der mit seinem Seitenwagen-Töff unterwegs ist und noch eine Woche zu warten hat, bis die Fähre von Batumi nach Burgas ablegt. Wir tauschten unsere Reiseerlebnisse aus, natürlich nicht einfach so auf der Strasse, sondern bei drei Bieren, sodass ich nachher nicht mehr fähig war, die geplante Probefahrt zu machen. Deshalb suchte ich zu Fuss den grosszügig angelegten (Kiesel-)Strand auf. Auch hier versprühte die Licht- und Wassershow einen Hauch von Vegas. Auf dem Rückweg ass ich eine erstaunlich gute Pizza, dazu gab’s wieder guten Rotwein. In der Nacht wurde ich überrascht, als plötzlich ein junger Kerl in mein Zimmer wollte. Die nicht verschliessbare Türe stiess gegen meine Töffcases, sodass ich erwachte…

Km: 6832

Mi, 01.07.2015: Batumi – Ushguli/Svaneti

Am Morgen merkte ich dann, was los war. Eine Grossfamilie mit mehreren Kindern hatte Unterschlupf in meinem Guesthouse gefunden, und der Junge war wohl auf der Suche nach weiteren Betten…

Die Reisemotivation heute Morgen war nicht besonders hoch, erstens weil ich etwas das Vertrauen in meine Töfffahrkunst verloren hatte, zweitens wusste ich nicht, wie auf dem Töff meine Leiste funktioniert und drittens erwartete ich spätestens in den Bergen weiteren Regen. Aber ich bin einfach nicht der Stadtmensch und wollte nicht noch einen Tag hier verbringen. So ging’s nach zehn Uhr mit einem Nescafe und Brötchen im Magen los Richtung Norden. Es war erstaunlich gutes Wetter. Tatsächlich schien die Sonne. Ich war ultravorsichtig unterwegs, aber der recht starke Verkehr vorbei an diversen Strandorten liess mich nicht gut vorwärtskommen. In Poti stiess ich auf zwei Russen auf dem Motorrad. Es ist hier üblich, als Gleichgesinnte anzuhalten, sich zu begrüssen und ein kurzes Schwätzchen zu halten. Die beiden waren auch Richtung Svaneti unterwegs, aber ich verlor die beiden, weil ich unbedingt noch tanken wollte vor den Bergen. Man lernt ja dazu… Nach Poti war die Strasse grottenschlecht, überaus staubig und voller Schlaglöcher. Und dann stand da plötzlich ein Bauarbeiter auf der Strasse, der einen an der Weiterfahrt hinderte, sodass einem nichts anderes übrig blieb als zu wenden und eine Umleitung zu nehmen, die sich schliesslich aber sogar als Abkürzung Richtung Zugdidi herausstellte. Jetzt ging’s Richtung Mestia in die Berge, und schwere Wolken kündeten unangenehmes Feucht an.

Nach einer ersten Steigung führte die kurvenreiche Strecke entlang eines schmalen Stausees, und ich staunte nicht schlecht, als ich in der Ferne auf einmal einen blauen Fleck am Himmel entdeckte. Und tatsächlich: Je weiter ich fuhr, umso mehr zeigte sich der blaue Himmel. Entgegen der Wetterprognosen wurde es immer schöner. Dass es in den letzten Tagen aber heftig geregnet hatte, sah man am braunen gewaltigen Wildwasser, das durch das Tal brauste. Es sah so aus, als ob weiter oben tatsächlich ein Staudamm gebrochen war. Ich habe noch nie ein solches Wildwasser gesehen. Flossfahren wäre auch mit viel Erfahrung nicht möglich gewesen… Die holprige, jedoch mit Betonplatten versehene Strasse folgte jetzt überaus lange diesem Fluss oder Riesen-Wildbach. Nur unmerklich gewann man allmählich an Höhe. Schon jetzt konnte man aber die absolut wildeste, unberührte Natur geniessen. Die Hänge sind vollständig belegt mit Urwald, Siedlungen trifft man beinahe keine. Nachdem die Strecke lange Zeit durch eine Schlucht geführt hatte, öffnete sich jetzt das Gelände, eine beinahe schweizerische Landschaft wie im Prättigau kam zum Vorschein. Wichtigster Ort in diesem Tal ist Mestia, das ich nach 120 km (!) kurvenreicher Fahrt kurz nach drei Uhr erreichte. Zum ersten Mal staunte ich über die eigentümlichen, defensiven Türme (koshkebi), die bei vielen alten Häusern stehen. Svaneti blieb unberührt von jeglichen Invasoren, sogar die Sowjets nahmen wenig Einfluss auf die uralten Bräuche der Svans, die auch eine eigene Sprache sprechen, viele Georgier brachten ihre religiösen Schätze hoch in dieses Tal, wo sie in Sicherheit blieben und teils jetzt noch hier sind.

Aber das absolut Eindrückliche ist die Szenerie, die sich einem auftut, je höher man kommt. Grüne Alpweiden, frei herumlaufende Kühe und Schweine (die heute wohl die grösste Gefahr auf der Strasse waren…) und dahinter weisse, vergletscherte Gipfel und dann diese eigenartigen Türme in der Landschaft. Wild, schön, mysteriös, entfernt frei.

Und mir stellte sich jetzt die Frage, in Mestia zu bleiben, was wohl vernünftiger wäre beim Zustand meiner Leiste. Aber nach einem Halt und einem Traubenzucker-Schub und weil die neugebaute Strasse nach Mestia mich gut vorwärtskommen liess – oder einfach, weil ich es herausfordern oder das Abenteuer suchen wollte, fuhr ich auch die nächsten 47 km noch weiter. Und ich war ja informiert, das Ushguli nur auf sehr schwierigen Pisten zu erreichen ist, obwohl es UNESCO-Weltkulturerbe-Status hat(!). Natürlich hörte die angenehme Strasse schon auf einem Pass auf, und es ging wieder steil bergab, beinahe im Schritttempo. Aber ich habe an Erfahrung gewonnen mit solchen Strassen. Als ich das Tal endlich erreicht hatte, folgte ich erneut dem jetzt schon kleineren, bekannten Wildbach, unendlich lang, weil unendlich holprig und teils unangenehm sumpfig und grandiosen Seen auf der Piste, die es zu durchqueren galt. Das Schwierigste waren aber schliesslich die beiden Bäche, die zu durchqueren waren. Jetzt nur nicht anhalten und bitte kein glitschiger Stein oder ein Verschalter! Und es ging gut. Im Tal kam ich in Kontakt mit einem einheimischen Führer, der mit zwei Touristen unterwegs war. Er meinte, dass nach Ushguli sogar der Pass überquert werden könnte, es sei aber noch etwas rauher. Es gab mir seine Telefonnummer, ich solle doch anrufen, wenn ich in Tiflis sei. Dann traf ich auf zwei polnische Velofahrer, die eben diesen Pass hinuntergefahren waren und meinten, es sei wirklich möglich…

Auf jeden Fall stieg die Strasse bald steil an, und ich erreichte in einem wilden Hochtal Ushguli mit seinen Steinhäusern und -türmen, bestehend aus drei Dörfern auf 2000 m.ü.M. Was für eine unglaubliche, unwirkliche Szenerie! Ich konnte mich nicht sattsehen… Im zweiten Dorf hielt mich ein Junge an und fragte, ob ich Unterkunft suche. So wohne ich jetzt in einem Steinhaus im zweiten Dorf mit Schlafzimmer und Stube – die grosse Familie mit zwei Knaben und drei Mädchen, von denen eines gut Englisch spricht. Es wurde mir Essen vom Feinsten, hiesiges Fleisch und Käse, eine Art Raclette, Gemüse, Salat, Kevir-Milch – und Rotwein aufgetischt. Hätte gereicht für fünf Personen… Es ist unglaublich, welche Wärme all die Menschen hier oben ausstrahlen. Da kommt es mir gar nicht in den Sinn, meine Wertsachen zu verstecken. Tatsächlich leben die Menschen das ganze Jahr hier oben.

Nach dem Essen widmete ich mich dem Töff, dessen Kette zu locker war und dringend geschmiert werden musste. Jetzt sitze ich in der warmen Stube, die Familie hat sich schon schlafen gelegt...

Km: 7158

Do, 02.07.2015: Ein Bergerlebnis in Ushguli

Nach dem ausgiebigen Frühstück und einem Spaziergang durchs Dorf wollte ich den Berg südlich von Ushguli 2 besteigen, obwohl ich nicht wusste, ob das erstens gescheit und zweitens überhaupt möglich ist mit meiner Leistenzerrung. Aber ich wollte es zumindest versuchen, denn die vielen Berge ringsum, die saftig grünen Hänge und die weissen Berge im Hintergrund luden förmlich zu einem Naturerlebnis ein.

Natürlich hatte es keinen Weg, aber das zwar steile, aber grüne Gelände liessen keine Gefahren erahnen. So startete ich über eine tiefe Kuhweide, die so feucht war, dass man beinahe versank. Quittung: Nasse Füsse! Bald ging es steil bergauf über Alpwiesen, die in voller Blüte stand. Keine Chance, nicht versehentlich eine schöne Blume zu zertreten. Ich stieg rechts an einer Bergflanke immer höher, der Wildbach rauschte tief unter mir. Ich war extrem vorsichtig unterwegs, gleichwohl rutschte ich einmal aus, die Leiste meldete sich mit einem deftigen Stich. Aber mein Grind liess nicht zu zu wenden. Erstes Ziel war eine Anhöhe, zweites eine weitere. Ich war gut gestiegen und hatte schon 600 Höhenmeter geschafft. Jetzt war „mein“ Berg gut sichtbar. „Ein Katzensprung“, dachte ich, aber ich unterschätzte die Distanz gewaltig. Ich stieg und stieg, die Pflanzen wurden niederer, und endlich kam ich in felsigeres Gelände, und dies motivierte mich, denn ich war gespannt, ob man auf dem Gipfel auch wirklich das gesamte westliche Panorama des Kaukasus sehen würde. Schliesslich hatte ich meinen geplanten Punkt endlich erreicht, aber auch dieser stellte sich als weitere Anhöhe heraus… Der Aufstieg zog sich weiter entlang von schmalen Schneeverwehungen. Aber ich sollte belohnt werden, denn die Aussicht auf dem Gipfel war einfach atemberaubend. Aber ich wollte noch etwas weiter gehen zum noch etwas höheren Nachbargipfel, und hier hatte ich tatsächlich schon 3100 m.ü.M. erreicht. Ich setzte mich nieder und genoss. Ich wusste, in welcher Richtung der Elbrus liegt, aber meistens verdeckten vorbeiziehende Wolken die Sicht auf diesen schneeweissen Berg (5600 m.ü.M.). Aber auch die Sicht auf die sonstigen weissen Gipfel und die Gletscher und davor die grünen und grauen Hänge der Vorberge war einfach atemberaubend. Es war recht kühl hier oben. Ich hatte ein Käsebrot dabei, ass und genoss.

Der Abstieg wurde leichter, als ich gedacht hatte. Ich folgte jetzt dem anderen westlichen Grat. Aber ich nahm es extrem gemütlich, denn ich möchte morgen fit sein. Ich konnte nämlich die rauhe Passstrasse über eine gewisse Strecke recht gut verfolgen, ausserdem bestätigte mir das nette Hausgirl, dass der Übergang passierbar sei. Ich werde es vom Wetter abhängig machen.

Todmüde kam ich bei der Unterkunft an, jetzt konnte nur ein Bier helfen. Ich sattelte meinen Töff und hatte bald ein geeignetes Lokal gefunden. Dann wollte ich die morgige Strecke auch auf dem Töff noch etwas rekognoszieren, ich fuhr dann zur Kirche in Ushguli 3. Wiederum: Was für ein Bild: Kirchenturm und dahinter die weissen Berge. Zu Hause wurde ich wieder mehrgängig verwöhnt – eine Armee wäre satt geworden.

Jetzt höre ich den vielen Kindern des Hauses beim Spielen zu, sie haben offensichtlich einen Heidenspass. Aber ich bin zu todmüde, mich zu integrieren.

Km: 7164

Fr, 03.07.2015: Abenteuer-Trip von Ushguli über Lentechi nach Kutaisi

Ich stand schon früh auf, denn das Wetter sollte entscheiden, welche Route ich nach Kutaisi nehmen wollte. Und tatsächlich schien die Sonne, sodass ich mich trotz angeschlagener Leiste auf den wilden Trip über den über 2600 m.ü.M. gelegenen Zagar-Pass wagen wollte.

Um halb neun Uhr ging es los. Noch war ich nicht eingefahren, und die beiden ersten Herausforderungen standen gleich an, denn die Piste steigt gleich nach Ushguli steil an und ist extrem unwegsam. Die Vorsätze des Vorabends setzte ich perfekt um, und ich schaffte sowohl den ersten Stutz wie auch die ausgefahrene Felspartie ohne Probleme. Jetzt stieg es kontinuierlich an. Immer wieder waren mit Wasser gefüllte, trübe Regenlöcher zu durchfahren. Zumeist stellte sich diese Möglichkeit als die sichere heraus, auch wenn man vorher nicht wusste, wie tief das Loch wirklich war. Beeindruckend war aber vor allem die Landschaft, die sich einem jetzt auftat. Beidseits diese saftig-grünen Berghänge und im Hintergrund der immer näher kommende Zagar (5068 m.ü.M.), der einen mit seiner Mächtigkeit beinahe Angst machte.

Ich war überrascht, wie bald ich die Passhöhe erreicht hatte. Was für eine überwältigende Aussicht! Aber jetzt folgte die lang und nicht enden wollende Abfahrt! Und es ging steil hinunter. Tiefe Regenrinnen verhinderten manchmal beinahe eine Weiterfahrt! Und dann kam das zu Befürchtende: Ein Bergbach war zu überwinden. Nicht das nicht sehr hohe Wasser stellte die Schwierigkeit dar, sondern die Steine und Unebenheiten, welche es zu um- oder überfahren galt. Natürlich hielt ich an, um zu überlegen, wo das Vorhaben mit all meinem Gepäck am ehesten zu schaffen war. Ich entschloss mich, das Gepäck nicht abzuladen und fuhr los. Aber schon verlor ich das Gleichgewicht, aber ich fiel nicht, aber mein Motorrad musste irgendwie aufgefangen werden. Aber dies ging nur mit dem linken Bein. Und da war er wieder, der Stich, der mir durch Mark und Bein fuhr. Die Leiste meldete sich grausam zurück. Ich stand jetzt mitten im Bach, aber ich musste hier weg, und noch stand ich. Wieder schaffte ich es, einige Meter vorwärtszukommen, aber wieder musste ich unter Fluchen anhalten. Noch ein Stück – und es wäre geschafft. Und das Vorhaben gelang tatsächlich, der Bach war überquert, ohne dass etwas nass geworden wäre – ausser meine Schuhe, die etwas Wasser abbekommen hatten. Ich machte gleich einen Halt, um mich etwas zu erholen. Und dann ging es weiter am Fusse des riesigen Zadars, vorerst nicht sehr steil, aber dann war wieder ein Schub Höhendifferenz zu bewältigen. Da waren sie wieder, die Wasserlöcher, die sumpfigen Stellen, die Felsbrocken in der Fahrbahn. Manchmal war der Weg beinahe zugewachsen. Ich versuchte, immer möglichst an einem Rand zu fahren, meist derjenige, der etwas entfernt vom Abgrund lag. In extrem unebenen Haarnadelkurven ging es steil abwärts. Ich hatte kaum Zeit, die grandiose Aussicht zu geniessen, denn jetzt war Konzentration alles. Plötzlich fand ich mich am Fusse eines Gletschers, von dem ein neuer Wildbach daherschoss. Doch diesmal war er genügend gross und reissend, dass irgendeine gute Seele einmal eine kleine Brücke gebaut hatte. Aber das sollte nicht der letzte Bach sein. Immer wieder hatte ich kleinere Bäche zu überqueren, die sich ihren schönsten Weg suchten – und das war auf meiner „Strasse“. Dann wurde es jeweils sumpfig und tief, an den tiefsten Stellen bildeten sich wahrhaftige Seen, die es zu durchqueren galt. Aber ich kam kontinuierlich vorwärts. Jetzt war der Wald wieder da, manchmal flachere Partien in diesem Hochtal. Ich durchquerte ein ruiniertes, verlassenes Dorf. Immer wieder musste ich einen Halt einlegen, um mich von den Strapazen zu erholen. Dies war möglich, weil ich zeitlich gut dran war. Man kann sich vorstellen, wie schwierig es ist, sich sechs Stunden ununterbrochen 100%-ig zu konzentrieren. Schliesslich erreichte ich die erste Siedlung, zwei polnische Velofahrer begegneten mir. Ich war also wenigstens nicht alleine unterwegs. Irgendwann kam dann ein Dorf mit einem kleinen Restaurant, wo ich ein herrliches Cola trank. Aber kurz darauf geriet ich erneut in Schwierigkeiten. Ich hatte zu wählen zwischen zwei Schlammlöchern und wählte das falsche. Es war tiefer als erwartet, und ich blieb in diesem Loch stecken. Meine Schuhe verschwanden in der lehmig-schlammig-braunen Brühe. Jetzt nur nicht den Motor verrecken lassen! Ich spulte, aber ich kam gleichwohl wenig vorwärts, und noch etwas, und ich war dem Höllenloch entkommen. Allmählich wurde es jetzt etwas leichter, man hatte vor allem Löchern auszuweichen, ich konnte sogar manchmal in den zweiten Gang schalten. Die Natur ist Chef hier. Ich passierte zwei Stellen mit Bergrutschen, wo man daran war, die Strasse von den Erdmassen wieder zu befreien. Aber dann kam die Erlösung – eine schöne Teerstrasse nach 70 km grausam anstrengender, aber trotzdem himmlisch schöner Fahrt kurz vor Lentechi. Was war das für ein Fahren! Aber jetzt nur nicht die Konzentration verlieren. Der Bach, den ich weit oben mit Schwierigkeiten überquert hatte, war zu einem reissenden Strom gewachsen. Ich befand mich in einem wilden Tal, gesäumt von undurchdringlichem Urwald und wollte nur noch diesem Tal entkommen.

Jetzt holte mich aber ein nächstes Problem ein: Ich fuhr unterdessen auf Reserve, aber da weit und breit keine Tankstelle. Erst zehn Kilometer vor Kutaisi, der nächsten grösseren Stadt, reichten die wohl letzten Tropfen, eine ganz einfache Tanksäule zu erreichen. Die Einheimischen waren erstaunt über ein so grosses Motorrad aus der Schweiz, wollten das Wie und Woher und Überhaupt wissen, und man verständigte sich auch ohne Englisch… Und als ich die begehrten Tropfen im Tank hatte, begannen die Tropfen von oben – hatten wir heute ja noch nicht gehabt. Erneut feiner Nieselregen, der die Fahrbahn glitschig machte und zu grösster Vorsicht mahnte.

Kutaisi ist eine jener Städte, denen man den Sowjet-Einfluss noch deutlich anmerkt. Heruntergekommene Blöcke, übertrieben breite Boulevards, viele Ladas, viel Grau. Ich fuhr ein in diese Stadt auf der Suche nach dem Zentrum und fand dieses erst nach einigem Suchen. Aber wo waren sie denn, die Guesthouses? Schliesslich checkte ich in ein altrussisches Hotel (Bagrati, 120 GEL=50 Sfr.) – egal, ich war so hundemüde, dass ich jetzt einfach vom Motorrad steigen wollte. Die Dusche und das anschliessende Bier revitalisierten mich wieder etwas. Am Abend ass ich in einem chinesischen Restaurant (!) ausgezeichnete Ente.

Und News zum China-Trip: Am 10. September geht’s los, Tibet inbegriffen, 6000 km in 30 Tagen. Das wird wohl das Nonplusultra. Ich werde mit einem Schweizer Paar reisen, die den notwendigen Führer in ihrem Auto mitnehmen können. Und noch etwas: Auf dem Pamir-Highway werden wir wohl auch zu dritt sein. Am Sonntag starten zwei Eschlikoner per Motorrad und werden mächtig Gas geben, um mich einzuholen. Wir werden uns wohl im Iran treffen.

Km: 7335

Sa, 04.07.2015: Erholung in Kutaisi

Ich schlief lange und gut und überlegte mir, dass es so wohl nicht weitergehen kann. Vor allem meine Leiste braucht dringend Ruhe und keine Action mehr, so blieb ich einen weiteren Tag in Kutaisi, obwohl der Ort eigentlich nicht viel zu bieten hat – ausser eine Kathedrale auf einem nahen Hügel, welche ebenfalls den Status des UNESCO-Weltkulturerbes hat. Ich musste aber einige Zeit suchen, bis ich die kaum beschilderte Auffahrt zu dieser frisch renovierten Kirche aus dem 10. Jahrhundert fand. Sie erinnerte natürlich stark an jene halb zerfallenen Klosterkirchen, die ich schon in der Türkei besucht hatte.

Sonst wusch ich meine Kleider, schrieb, sortierte Fotos und fand Zeit für die weitere Planung (Armenien, etc.). Spät am Abend ging ich nochmals aus und fand ein interessantes In-Lokal, gefüllt mit vielen Einheimischen, die in grosser Lautstärke Volkslieder sangen. Ich ass einen ausgezeichneten Salat und eine Pizza.

Km: 7349

So, 05.07.2015: Kutaisi – Stepantsminda (Kazbegi): Erneute Fahrt in die Berge

Ich ärgerte mich zum letzten Mal in diesem überteuerten Hotel, in dem das Zimmer zwar gross und sauber war, in dem aber das Internet kaum funktionierte. Als ich mit Karte zahlen wollte, funktionierte der Kartenleser nicht, und ich hatte bar zu zahlen. Als ich voll bepackt abfuhr, war es grau und trüb. Ich fuhr aber nicht lange, da zeigte ich die Sonne, und je näher ich Tbilisi kam, umso schöner wurde es. Das Ziel war heute jedoch nicht Tiflis, sondern Kazbegi in den Bergen, denn der Wetterbericht laut meteocentrale.ch verhiess nur noch für heute und morgen gutes Wetter, dann wird mich wohl der Regen wieder einholen. Die Fahrt nach Osten auf ausgezeichneten Strassen war wenig spektakulär. Irgendwie kommt es mir vor wie bei uns vor fünfzig Jahren, als die ersten Autobahnen eröffnet wurden, und eine dieser neuen Strassen benutzte ich. Bei einer nigel-nagel-neuen Raststätte machte ich einen längeren Halt. Es war unterdessen massiv wärmer geworden. Ich bekam einen Vorgeschmack, was mich in den nächsten Wochen wohl erwarten wird mit Temperatur bis 40° oder noch mehr…

Kurz vor Tbilisi bog ich ab Richtung Norden, machte beim Zinvali-Stausee einen nächsten Halt bei der aussergewöhnlich schön hoch über dem See gelegenen Ananuri-Kirche mit Festung. Ich liess es mir nicht nehmen, ein ganz nettes Wollkostüm, offenbar eine alt-traditionelle Kleidung hier, anzuziehen und mich fotografieren zu lassen. Einen weiteren Stopp machte ich bei einer Tankstelle, um nicht wieder in dieselben Probleme zu fahren wie vor zwei Tagen. Der „Georgian Military Highway“ Richtung Russland begann bald mächtig anzusteigen. Ich passierte ein georgisches, kleines Skigebiet. Kurz vor der Passhöhe machte ich Halt bei einem veritablen, wohl von den Russen erstellten Betonbunker an schönster Stelle, wo man diverse „geschmackvolle“ Souvenirs feilbot und eine besonders gute Aussicht auf den Kaukasus hat. Bald war danach die Passhöhe auf über 2400 m.ü.M. erreicht. Bald musste ich wieder anhalten, denn auf der linken Seite verwandelte ein Gewässer den Hang in eine rot-bräunliche Karst-Landschaft. Es wäre interessant gewesen, auf diesen fein gerippten Felsen etwas emporzuklettern, aber dazu fehlte die Zeit. Je mehr ich mich Stepantsminda näher, umso mehr Lastwagen parkierten auf der linken Strassenseite, wahrscheinlich wartend auf einen problemlosen Grenzübertritt nach Russland. Hunderte von Lastwagen verursachten ein ziemliches Verkehrchaos, und ich kam nur mehr langsam vorwärts. Gleichwohl erreichte ich Stepantsminda und auch bald ein privates Guesthouse. Ich wohne bei einem kauzigen Russen, der hier mit seiner netten Frau mit Kind lebt. Ich bewohne ein grosses Zimmer mit drei Betten. An der Wand hängt ein riesiger Teppich, der Boden ist schmutzig, die Bettwäsche riecht aber gut.

Natürlich ging ich bald nochmals ins Zentrum Stepantsmindas für ein Bier. Ich traf auf einige Touristen, alle aber nicht wirklich interessant. Ich war wiederum sehr müde und legte mich schon vor zehn Uhr schlafen.

Km: 7683

Mo, 06.07.2015: Kazbegi

Der Ort hätte sich eigentlich wieder hervorragend angeboten für einen speziellen Trekkingtrip. Aber ich blieb diesmal vernünftig und liess es sachte angehen, denn ich wusste auch, dass sich das Wetter im Verlaufe des Tages verschlechtern wird. Aber die Cminda Sameba Gergeti, ein kleines georgisches Kloster, vollkommen ausgesetzt auf einem Felsen auf 2200 m.ü.M., wollte ich mir schon nicht entgehen lassen. Aber dafür durfte ich mich wieder im Pistenfahren üben. Dies ging ohne Gepäck viel leichter, und die 500 m Höhendifferenz waren bald überwunden. Nach dem letzten steilen und ganz rauhen Stück wurde das Gelände plötzlich wiesig-eben, und entfernt war diese extravagante Klosteranlage vor dunklen Felsen des gegenüberliegenden Gebirges zu sehen. Einmalige Szenerie! Fremd und doch erwartungsgemäss, denn noch zu Hause hatte sich beim Studium über den Kaukasus dieses Bild bei mir eingeprägt – und jetzt war ich hier! Ich genoss die Stille hier oben – die Touristenmassen sollten erst später erscheinen, in Jeeps, aber nicht per Seilbahn, welche seinerzeit die Russen einmal gebaut hatten, aber von der heute nichts mehr zu sehen ist. Die Georgier bauten sie wieder zurück, weil der Berg ihnen zu heilig ist.

Unterdessen begann es zuzuziehen, der über 5000 m hohe Kazbek verschwand hinter den Wolken. Immer mehr nahmen diese Besitz der gesamten Landschaft, jetzt ist schon alles verhangen, und ich warte auf den Regen… Noch bleib ich ja hier. Ich hatte heute Nachmittag herzlichen Kontakt mit der Mama des Hauses. Ich schenkte der kleinen Tochter eine Sticker-Kollektion, dafür erhielt ich Kaffee und Cili-cili, ein einheimisches Gericht, eine Art Riesenravioli gefüllt mit Hackfleisch. Prima!

Zudem fand ich Zeit für das Planen der nächsten Tage. In Tbilisi würde ich gerne einen Service am Töff machen lassen, wenn ich dann die Yamaha-Bude wirklich finde. Ich habe mich unterdessen auch entschlossen, nicht mehr zurück in die Türkei zu fahren, um in den Iran einzureisen. Vielleicht reise ich durch das spannende Bergland Südarmeniens, um dort die Grenze zum Iran zu überschreiten. Allerdings sollen die Strassen ab der Grenze in üblem Zustand sein, aber das kenne ich ja unterdessen. Ausserdem habe ich herausgefunden, dass es in Yerewan ebenfalls ein turkmenisches Konsulat gibt. Vielleicht lässt sich ein Visum bereits dort erhalten… Hoffentlich!

Gegen Abend fuhr ich nochmals ins Dorf für ein Bier, um mich ein bisschen über Tiflis zu informieren.

Km: 7701

Di, 07.07.2015: Fahrt nach Tbilisi und „Gibt es Zufälle?“

Ich war schon darauf gefasst, dass es am Morgen trüb und nass sein würde. Und tatsächlich war nichts mehr von der schönen Berglandschaft zu sehen. Alles war verhangen, und es regnete. Also hiess es erneut, sich für Regen auszurüsten. So war ich wieder unterwegs Richtung Passhöhe. Einige Stellen ertranken beinahe im Siff, aber ich bewältigte die schmierigen Stellen mit den Schlaglöchern ohne Probleme. Das Regenwetter kam offenbar von Nordwesten. Auf der Leeseite des Passes hellte es schnell auf, und ich kam auf der gut ausgebauten Strasse schnell vorwärts. Zwar erwischte mich noch ein heftiger Schauer, aber auch der kratzte mich nicht. In Ananuri machte ich wieder einen Halt für einen Maschinen-Cappuccino. Je näher ich Tbilisi kam, desto mehr hellte es auf. Es war angenehm mild und überhaupt nicht übermässig heiss wie sonst im Sommer.

Aber die Stadt hatte es in sich. Erstens war der Verkehr chaotisch, zweitens näherte ich mich dem Zentrum erneut spiralförmig an. Schliesslich wähnte ich mich nach einer Stunde Herumirren, unter anderem durch ein Viertel mit riesigen, alten, schäbigen Sowjet-Blöcken, im Zentrum gleich am Fusse der riesigen, an prominentester Stelle auf einem Hügel gelegenen Kathedrale, und da waren sie, die Guesthäuser, von denen ich mich jedoch an keinen der Namen vom vorabendlichen Studium erinnern konnte. Ich wurde im Tbilisi-Guesthouse sehr herzlich empfangen und bezog im Dormitory ein Quartier (25 GEL=10 €). Es war früher Nachmittag, und ich wollte unbedingt herausfinden, wie und wo ich einen kleinen Töffservice machen könnte. Der nur russisch und georgisch sprechende Chef des Hauses war ausserordentlich hilfreich. Nach einigen Telefonen kam schon sein Sohn (?) mit seinem alten Mercedes. Wir fuhren zu einer nahen Autowerkstätte, wo man aber den gewünschten Kettenspray nicht hatte, aber der Mann dort wusste, wo man solchen findet. So fuhren wir zu dritt einige Kilometer stadtauswärts bis zu einem Geschäft, wo diverse Arten von Öl verkauft wurden. Auch hier war man ausserordentlich zuvorkommend und nett. Ich kaufte drei Dosen von diesem wichtigen Kettenspray und zusätzlich sechs Liter Öl für einen Ölwechsel. Bei der Rückfahrt machten wir Halt bei einer kleinen Garage, wiederum wurde hin- und hertelefoniert, bis mit das Handy gereicht wurde und ein Englisch sprechender Mechaniker am Draht war und meinte, dass wir uns morgen gerne treffen können für diesen kleinen Service. Genial diese Menschen!

Jetzt war Zeit für einen ersten Rundgang durch diese Stadt, ausserdem hatte ich Lust auf ein Bier, spazierte hoch zu der mächtigen Kathedrale. Auf der anderen Seite des Hügels spazierte ich durch eine heruntergekommene Häuserreihe. Da passierte etwas unglaublich Unwahrscheinliches. Ich sah vor mir in dieser Hintergasse zwei offensichtliche J Touristen, die versuchten, sich mit dem Handy zu orientieren. Und da hörte ich plötzlich schweizerdeutsche Sprache und staunte nicht schlecht, als die beiden mich erkannten. Da traf ich doch tatsächlich in Tbilisi in dieser Hintergasse auf Sonja und Sebastian, mit denen ich vor drei Jahren auf dem Flosstrip in Albanien unterwegs war! Sonja hatte ich noch vor knapp zwei Monaten im Onsernonetal getroffen, und nun sah ich sie erneut! Man kann sich fragen, ob es Zufälle gibt oder ob alles vorbestimmt ist. Die Freude und das Erstaunen waren natürlich riesengross. Die beiden teilten mir auch mit, dass wir uns gar nicht in der Altstadt befänden, aber dorthin gingen wir jetzt gemeinsam, denn dieses unglaubliche Zusammentreffen musste natürlich bei einem Bier begossen werden. Die beiden waren erst heute Morgen per Flugzeug in Tbilisi angekommen und verbringen hier in Georgien und Armenien drei Wochen Ferien. Sebastian wird in zwei Monaten in Armenien als Fotograf bei einer NGO-Organisation ein halbes Jahr Zivildienst leisten.

Endlich in der touristisch recht gut ausgebauten schmucken Altstadt, konnte ich mich mit dieser Stadt definitiv anfreunden. Und natürlich hatten wir uns viel zu erzählen. Nach einem weiteren Bier stiessen wir eher zufällig auf das PurPur-Restaurant mit extrem stilvollem Interieur. Wände und Böden wurden in diesem alten, hohen Raum kaum renoviert, aber die Atmosphäre war einfach extrem stimmungsvoll. Und das Essen und der Wein waren einfach hervorragend. Fischcarpaccio, Salat, gefüllte Teigtaschen, Rindsfilet (!), der Weisswein (obwohl ich roten bestellt hatte) – himmlisch! Unterdessen war es tiefe Nacht geworden. Wir schlenderten durch die pitureske Altstadt. Nachdem wir uns mit einer Flasche Wodka eingedeckt hatten, fuhren wir um halb elf Uhr nachts mit einer Gondelbahn (8 GEL für 3J) auf einen der Hügel rund um die Stadt, genossen die Aussicht auf die lichterreiche Stadt und die mit Schwert bewaffnete Agatha von Katchapuri J, die riesige Statue, das Schwert erschien uns aus anderem Blickwinkel viel eher als eckiger Phallus… Es war sehr lustig hier oben, die Flasche Wodka war bald leer, die verschiedenen Selbstauslöser im Kasten. Kurz vor Mitternacht fuhren wir wieder zu Tal. Es war nicht mehr weit bis zu meinem Guesthouse, wo sich der Chef des Hauses Sorgen machte, wo ich so lange geblieben sei… Aber dieses unglaubliche Zusammentreffen musste ja einfach gefeiert werden. Hier kam ich nochmals ins Gespräch mit einigen jungen Polen, aber ich war jetzt mehr als bettreif (aus verschiedenen Gründen…) und versank in einen tiefen Schlaf…

Hoffentlich geht’s morgen so gut weiter, und mein Töff kann wirklich gefixt werden…

Km: 7896

Mi, 08.07.2015: Töff-Service-Tag in Tbilisi

Ich war etwas auf Nadeln heute Morgen, weil ich nicht wusste, ob mein Töfftechniker auch wirklich erscheint. Der Chef des Hauses machte ein paar Telefonate, und tatsächlich. Um 13 Uhr kamen sie gleich zu viert, alle ausgerüstet mit Motorrädern. Wir fuhren  etwa 30 Minuten, machten zuerst einen Halt bei einer Waschanlage. Der Töff wurde mächtig eingeschäumt und mit Hochdruckstrahl gereinigt, sodass sich die Ushguli-Dreckschicht mit dem Wasser davonmachte. Wenig später erreichten wir eine kleine, aber recht gut ausgerüstete Werkstatt (Pitstop). Es verging einige Zeit, bis mit Arbeiten auch wirklich begonnen wurde. Ein Ölwechsel wurde gemacht, der Ölfilter gewechselt, den wir mit der Intruder meines Kollegen im Hotel holen mussten, weil ich ihn vergessen hatte. Das Reinigen der Kette war nicht nötig und war immer noch gut gespannt, da hatte ich selber also gute Arbeit geleistet. Dann wechselten wir auch noch den Luftfilter und die Kerzen. Dies behob aber die leichten Zündstörungen nicht. Immer bei 3500 Touren knallt es etwas aus dem Auspuff. Sollte aber nicht wirklich beunruhigend sein. Gegen fünf Uhr waren die Arbeiten abgeschlossen, die ganze 62 GEL kosteten. Ich war ziemlich glücklich, diese Arbeiten erledigt zu haben.

Wieder im Guesthouse machte ich nochmals einen Gang hoch zur Kathedrale, stieg auch noch auf den höchsten Turm hier oben. Ein gewaltiges Bauwerk. Interessant die vielen Abbildungen von Heiligen in der Kirche und auch, dass es nirgends Bänke gab. Es war grad eine Zeremonie im Gange. Zivil gekleidete Männer stimmten einen sehr harmonischen Singsang an, dazwischen wurden (wohl) Gebete gesprochen.

Nach einem Bier traf ich mich erneut mit Sonja und Sebastian. In einer Weinbar kosteten wir einen ausgezeichneten Weisswein als Apero. Dann gingen wir in ein georgisches Restaurant, wiederum Kingali, die georgischen Riesenravioli, zwei herrlich frische Salate und schliesslich „rabbit“ an Tomatensauce, der allerdings wohl nicht mehr der Jüngste war, die Konsistenz dessen war schon ziemlich fest, sodass Tomatenspritzer nicht zu vermeiden waren. Ich werde morgen die beiden wieder sehen, denn wir haben dasselbe Reiseziel!

Eigentlich wäre ich genug müde gewesen, um gleich schlafen zu gehen, aber im meinem Hostel war die Freude gross, dass ich endlich erschien. Unglaublich nette junge Leute aus Polen, der Ukraine, Weissrussland, die mehr über meine Reise wissen wollten. Man ist halt schon etwas der Exot, wenn man auf diese Weise reist. Der Vater des Hauses hörte nicht auf, mir von jenem orangen, weinähnlichen Getränk einzuschenken, sodass es unmöglich war, schlafen zu gehen. Zudem wurden immer wieder einheimische Leckereien auf den Tisch gestellt, dabei war mein Magen schon rammelvoll. Erst weit nach Mitternacht ging’s endlich zu Bett. Es war sehr warm geworden. Zum ersten Mal vermisste ich eine Klimaanlage oder zumindest einen Fan.

Km: 7918

Do, 09.07.2015: Die Reise zum Sevan-See (Armenien)

Im Hostel war man wenig erfreut, dass ich heute bereits abreisen wollte. Schon vor neun Uhr  war ich reisefertig. Aber Tbilisi wollte mich nicht so schnell loslassen, weil ich bei der Ausfahrt aus der Stadt offenbar die Orientierung verlor und mich schliesslich im Norden der Stadt wiederfand statt im Süden. Es hatte lange keine Wegweiser, weshalb ich dies zu spät realisierte. So machte ich endlich kehrt und durchquerte die ganze Stadt nochmals, fragte aber öfters nach und fand die geplante Abzweigung Richtung Marneuli problemlos.

Es war auffällig, wie sich die Landschaft schnell verändert hatte. Es ist hier offensichtlich viel trockener. Die Pflanzen haben jenen ledernen Charakter, wie man sie auch in Südeuropa findet. Bald war ich an der Grenze Armeniens, und der ganze Grenzübertritt schien schnell und unbürokratisch abzulaufen. Ich hatte schon meinen Stempel im Pass und wollte noch einige Drams wechseln und hielt deshalb an. Da machte mich ein Offizieller darauf aufmerksam, dass ich hier noch ein weisses Papier abzugeben hätte. So wechselte ich schnell 50 € zu schlechtem Kurs (1 € = 500 Dram) und fuhr die hundert Meter zurück zu einem grauen und ungemütlichen Büro, wo sich andere ebenfalls um dieses Papier bemühten. Tatsächlich musste noch mein Töff registriert werden, was mich 6500 Dram kostete. Dies dauerte eine ziemlich Weile. Aber schliesslich hatte ich das offenbar wichtige Papier und überschritt die Grenze ein zweites Mal. Hier wollte man mich noch eine Versicherung aufschwatzen, aber ich lehnte kategorisch ab, obwohl man mir sagte, dass ich bei einer Kontrolle Probleme haben würde…

Die Strasse Richtung Süden war zwar geteert, hatte aber viele Löcher. Ausserdem musste man extrem achtsam sein, denn gleich zweimal fehlte auf der Strasse ein Schachtdeckel (!). Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn ich in dieses Loch hineingeraten wäre. Später umfuhr ich ein metertiefes Loch, mitten in der Strasse, das von jedem (?) Fahrzeug einfach elegant umfahren wird. In Armenien zogen im hügeligen Land wieder Wolken auf, doch es begann nicht zu regnen. Ich fuhr ein in eine Art Canyon, unendlich lange einem Fluss entlang. Es war sofort auffällig, dass die Menschen hier beklemmend arm sind. Die bestehende Eisenbahnlinie wurde aufgegeben, ich passierte graue Orte mit riesigen, vor sich hin rostenden sowjetischen Industrieanlagen, kein schönes Bild. Gleichwohl befinden sich genau in dieser Region zwei interessante Kulturstätten, die als Weltkulturerbe ausgezeichnet sind. Sowohl Hagphat aus auch Silian sind zwei grosse armenische Klosteranlagen aus dem 10. Jahrhundert mit gleich mehreren Gebäuden. Über 500 Mönche sollen sich hier während der Blütezeit im zwölften Jahrhundert aufgehalten haben. Heute sind die Bauten erstaunlich gut erhalten. In den dunkel gehaltenen Kapellen und Räumen mit den grossen armenischen, runden Schriftzeichen ist die Stimmung noch heute unglaublich mystisch. Über tausend Jahre haben diese steinernen Gebäude überdauert. Die schon jetzt heruntergekommenen sowjetischen Wohnblocks aus den Sechzigerjahren in der Nähe werden kaum einen Zehntel von dieser Zeitspanne überleben. Die Menschen hier machten mir einen verhärmten, hoffnungslosen Eindruck. Die Wirtschaft läuft schlecht, die Grenzen zu zwei Nachbarländern sind geschlossen (Türkei wegen des nicht anerkannten Armenien-Genozids vor hundert Jahren, Azerbaidjan wegen der Landstriche um Nagorno-Karabach, um die man sich noch heute streitet). Armenien hat also nur offene Grenzen nach Iran und nach Georgien und ist nach wie vor wirtschaftlich von Russland abhängig. Erst grad wurden die Strompreise massiv erhöht.

Ich war froh, aus diesem Tal der Beklemmnis endlich herauszukommen und erreichte Vanajor, das ich vollkommen zu umfahren hatte und wenig sehenswert war, um die Strasse nach Sevan einschlagen zu können. Hier änderte sich die Szenerie schlagartig. Die gute Strasse begann anzusteigen, und ich wähnte mich bald in irgendeinem schweizerischen Hochtal zu sein. Da waren sie wieder, die hohen Grashügel, viel schönere Behausungen zeugen von gewissem Wohlstand. Bald erreichte ich Dilian, eine sympathische Stadt auf etwa 1000 m.ü.M., wunderte mich alsbald, dass es bergab ging, bis ich merkte, dass ich auf dem Weg Richtung Azerbaijan war. Wiederum hatte ich die richtige Abzweigung verpasst. Dies war umso ärgerlicher, weil ich wusste, dass Sonja und Sebi bereits in Sevan angekommen waren. Nach der Fahrt nach Yerevan wurden die beiden in einem Jeep in einem Höllenritt bis nach Sevan mitgenommen.

Tatsächlich war die Steigung auf der richtigen Strasse beträchtlich und diese ausgezeichnet ausgebaut. Nach der Durchfahrt durch einen langen Tunnel erreichte ich das Sevan-Hochplateau mit seinem riesigen 80 km langen See auf 1990 m.ü.M. Bei der Sevan-Halbinsel stiess ich wieder auf Sonja und Sebi. Per Taxi ging’s nach Sevan-Stadt, wo sie Essen für den Abend einkauften, während ich nach einem Platz zum Zelten am See suchte. Einen solchen fand ich etwa 12 km südlich der Stadt. Per Taxi folgten mir die beiden. Was für ein idyllischer Platz! Wir stellten unsere Zelte auf, assen etwas und setzten uns ans Feuer, das allerdings nicht einfach anzukriegen war. Es war nur wenig, mit Stacheln besetztes Holz zu finden. Schliesslich half ich sogar mit etwas Benzin nach…

Km: 8255

Fr, 10.07.2015: Am Sevan-See

Ich sitze im Schatten einer mit Muscheln besetzten Steilwand am Kieselstrand direkt am See. Glasklares Wasser, Wassermelone, Biscuits, ganz nett. Das Wasser ist echt erfrischend auf dieser Höhe, darf es aber auch sein, denn um die Mittagszeit war es drückend heiss. Es wird dem süssen Nichtstun gefrönt, Lesen, Schreiben, Fischen ist angesagt. Überaus angenehm!

Der Morgen hat sehr vielversprechend begonnen, als wir gleich in unserer Bucht zwei jungen Armeniern in ihrem Boot zuschauten, wie sie aus Körben irgendetwas aus dem See fischten. Wir riefen ihnen zu und sahen, dass es sich um grosse Seekrebse handelte. Sebi hielt den beiden einen 1000-er-Schein hin, und sie füllten eine Plastiktüte mit diesen noch sehr lebendigen Tieren. Augenblicklich fiel von Sebi der Druck ab, beim Fischen wieder nicht erfolgreich zu sein…

Komisches Gefühl, diese munter krabbelnden Tiere vor sich zu sehen im Wissen, dass sie bald in der Pfanne landen werden. Küchenmässig waren wir nicht sehr gut ausgerüstet, aber meine Töpfe konnte ich jetzt zum ersten Mal gebrauchen. Wir hatten ein Glas Tomatensauce, Wasser, aber kein Salz. Dafür hatte ich noch einige gesalzene Pistazien, die wir als Würzmittel brauchten. Bald war das Feuer angemacht, und die ersten zehn dieser grün schimmernden Tiere schwammen in der Tomatensauce – bald über dem Feuer. Kein schöner Anblick zuzusehen, wie sich diese Tiere immer weniger bewegen, bis sie endlich tot sind.

Gleichwohl waren vor allem die Schwänze dieser Tiere ein wahrer Leckerbissen. Insgesamt wurden drei Pfannen aufgesetzt. So hatte ich schon am Morgen gegen 15 dieser Tiere verschlungen (zumindest Teile davon).

Am Nachmittag waren wir lange am See, bis uns ein braun gebrannter Armenier in unserer Ruhe störte. Zuerst war es das übliche Sich-Kennenlernen – mühsam, wenn man die Sprache der Einheimischen nicht spricht. Und Russisch beherrschen wir nicht; diese Sprache wäre hier sehr hilfreich. Es war eigenartig, dass uns dieser Typ unbedingt im Wasser sehen wollte, und wir wurden ihn nicht mehr los. Er war offensichtlich alkoholisiert, und es verging einige Zeit, bis der Typ endlich von dannen zog – in Richtung unserer Zelte. Wir hatten zwar die wichtigsten Wertsachen schon mit zum Strand genommen, aber es war uns nicht wirklich wohl, weshalb wir trotz der grossen Hitze bald ebenfalls unsere Zelte aufsuchten. Der Mann schlich um unser Lager und machte eindeutig zweideutige Bewegungen vor allem zu Sonja. Dann war er auf einmal verschwunden, aber er hatte sich nur geschickt versteckt, um uns weiterhin zu beobachten. Wenn wir nur gewusst hätten, was in diesem Menschen wirklich vorgeht! Was hatte er nur vor? Und dies machte uns tatsächlich etwas Angst. Sebi und Sonja waren am Lesen, und ich legte mich halb schlafend auf das nahe Mäuerchen, gleichwohl gesellte er sich nochmals zu uns, bevor er sich gelangweilt schliesslich entfernte.

Wir waren am Holz suchen, bereiteten das Feuer, die Pasta und die Sauce vor, als der Typ wieder erschien mit einer Menge von jenem knorrig-stacheligen Holz, das uns noch den ganzen Abend beschäftigen sollte. Dann haute er definitiv ab. Das sind so Situationen, die einen manchmal mit schlechtem Gewissen zurücklassen. Die ganze Menschenkenntnis reicht nicht, um die Situation wirklich zu erfassen. Offensichtlich suchte er nur den Kontakt zu uns, wenn auch etwas speziellen Sonja gegenüber… Dies war wohl sein Fehler, deshalb versorgte er uns mit einigem Holz. Das war wohl sein schlechtes Gewissen.

Das abendliche Menu mit Pasta, Tomatensauce, Pistazien, Kräutern aus der Umgebung war auch salzlos ganz gut – wir hatten uns den ganzen Tag auch nur mit Früchten und Gemüse verpflegt… Die Freude an der zweiten Portion Seekrebse wurde uns etwas vergällt, weil der Wind die Wellen wachsen liess und so den mit den Krabben gefüllten Plastiksack löste und vielen der Tiere zur Freiheit verhalf, wenn sie nicht schon von den Möwen gepackt wurden. Sebi konnte aber immerhin noch etwa deren 15 „retten“, wie auch immer das zu deuten ist…

Nachher sassen wir lange am Lagerfeuer, das anfangs nicht leicht am Leben zu halten war, weil das stachelige Holz so verwachsen war. Erst als die Glut gross war, konnten wir mehr oder weniger inaktiv am Feuer sitzen und den grandiosen Sternenhimmel (ohne Lichtsmog) sowie immer wieder Sternschnuppen oder vorbeiziehende Satelliten beobachten.

In der Nacht blieb es herrlich ruhig, keine unerwünschten Besuche störten unseren Schlaf…

Km: 8255

Sa, 11.07.2015: Fahrt über den Sulema-Pass nach Yerevan und der amputierte Schuh

Ich erwachte schon früh und begann, wieder einmal all mein Material zusammenzuräumen. Der Tau hatte mein Zelt ziemlich befeuchtet, und es musste an der Sonne getrocknet werden. Ich spazierte mit den noch schmutzigen Pfannen zum See, reinigte sie und nahm ein morgendliches Erfrischungsbad. Dann verzehrten wir die letzten Vorratsreste, unter anderem kleinen Knäckebrote, die wie Karton schmecken, sowie einige Schnitze Melonen, die vom Angriff der Möwen noch übrig geblieben waren. Tatsächlich gab es am Morgen einen Riesenradau dieser Vögel, die sich vor allem für die Krebsreste interessierten, sich aber auch an unserer Wassermelone gütlich taten. Wir sassen noch lange Zeit an der Sonne bei herrlichen Temperaturen, nahmen nochmals ein Bad, bis wir uns endlich auf den Weg nach Yerevan machten.

Sebi und Sonja waren noch kaum bei der Strasse, als schon ein Auto anhielt und sie in kurzer Zeit in die Hauptstadt brachte. Ich dagegen fuhr Richtung Süden nach Martuni und war froh, bald eine Tankstelle zu finden, denn der Tank war schon ordentlich leer. Die Fahrt entlang des Sees war sehr schön. Anhalten musste ich wegen eines alten, verlassenen Zug-Schlafwagens, der irgendwo in der Landschaft stand. Da stand sogar auf Deutsch „Schlafwagen“ und auf Französisch „lit de couchettes“, aber von Schienen war weit und breit nichts mehr zu sehen… Dann ging’s bald sanft bergauf Richtung Sulema-Pass (2410 m.ü.M.) vorbei an sanften grünen Hügeln, auf dessen Hügeln riesige Herden von Kühen weideten. Die Landschaft änderte sich dramatisch nach der Passhöhe. Es wurde augenblicklich viel trockener, die Aussicht über die zerklüfteten, rötlich schimmernden Felsabbrüche war grandios. Schade, dass es etwas dunstig war. Kurz nach der Passhöhe während des Herunterfahrens machte ich einen Halt bei der über 800 Jahre alten „Caravanserai“, einer aus massiven, zugeschlagenen Felsbrocken gebauten, weiträumigen Unterkunft für Passgänger und Händler der vergangenen Jahrhunderte. Was für eine Stimmung in diesem düsteren, mit Abteilen ausgestatteten Übernachtungsraum. In vielen Haarnadelkurven ging es dann steil bergab, und mit jedem Höhenmeter, den ich schnell verlor, wurde es immer wärmer. Kein Wunder, dass in dieser kargen Fels- und Wüstenlandschaft die Temperatur kontinuierlich anstieg. Ich erreichte ein Tal und machte einen Halt bei einem lauschigen, schattigen, am Fluss gelegenen Gasthaus, wo ich einen herrlich frischen Salat und Brot ass. Frisch gestärkt erreichte ich mit Yegnegnadzor bald einen staubigen Ort, von wo aus die Strecke durch ein noch trockeneres Tal führte. Jetzt wurde ich ein erstes Mal getestet, wie gut ich hohe Temperaturen bis 40 Grad vertrage. Dann stieg es wieder an bis 1700 m.ü.M.. Zum ersten Mal erschien in der Ferne der mächtige, noch mit Schnee bestandene, über 5000 m.ü.M. hohe Ararat, an dem laut Bibel Noah einmal anlegte, um die vielen mitgenommenen Tiere wieder in die Freiheit zu entlassen.

Bei der Abfahrt realisierte ich, dass ich einen meiner Crocs auf dem Weg verloren hatte, weil die Strasse extrem uneben war. Ich hatte aber kaum fünf Kilometer zurückzufahren, bis ich die grünen Schuh mitten auf der Strasse in einem erbärmlichen Zustand fand. Das Croc-Band war abgerissen, Spuren eines schweren Lastwagen-Pneus waren zu sehen. Aber ich erbarmte mich dieses Schuh und packte ihn wieder in das vorgesehene Loch bei einem Ersatzreifen in meinem Gepäck.

Ich fuhr jetzt ein in eine brütende, ganz ebene Landschaft am Fusse des Ararats und schaffte die letzten 60 km bis Yerevan in kurzer Zeit. Dann galt es wieder in die Stadt einzufahren, aber diesmal hatte ich mich besser vorbereitet und hatte die Stadt trotz des starken Verkehrs gut im Griff, erreichte nach einigem Nachfragen die grosse, zentral gelegene Opera, und von dort war es nur noch ein Katzensprung bis zum bekannten Envoy-Hostel, das aber leider ausgebucht war. Gleich gegenüber befindet sich aber das Mr.-Hostel, und hier wies man mir ein Bett zu in einem Dormitory-Zimmer (6000 Dram = 12 Fr.). Ich nahm mich meines Crocs an und amputierte ihm den Haltebändel. Schliesslich bin ich ja Heilpädagoge und weiss mit Behinderten umzugehen. Er wird mir nämlich weiterhin seine guten Dienste leisten, auch wenn er nicht mehr so schön aussieht…

Am Abend machte ich einen ersten Rundgang durch die Stadt auf der Suche nach einem geeigneten Restaurant. Diese Stadt lebt! Und der Standard ist erstaunlich hoch. Gut gekleidete junge Armenierinnen flanierten durch die Northern Avenue, immer wieder auf und ab. Teure Autos kreuzten meinen Weg, die Musikanlage immer voll aufgedreht. Ein munteres, durchaus weltstädtisches Treiben in den Gassen. Schliesslich stillte ich meinen Hunger in einer kleinen, voll besetzten (immer ein gutes Zeichen;-) armenischen Pizzeria. Das Bier war herrlich, der Espresso danach sogar auch. In der Flaniergasse beobachtete ich das Sehen und Gesehenwerden bei einem Glas Rotwein, bevor ich mich auf den Heimweg machte. Ich war müde und wollte schlafen, aber die Klimaanlage stieg aus. Im Zimmer war es drückend heiss, die Luft machte keinen Wank. Aber da kannte ich einen Trick. Mit Wasser benetzte ich Leintuch und Bett, bis es triefte. Das Wasser kühlte von unten und liess mich alsbald einschlafen…

Km: 8496

So, 12.07.2015: Wasserschlacht in Yerevan

Die Klimaanlage funktionierte auch am Morgen noch nicht wirklich, sodass ich mich entschloss, die Unterkunft zu wechseln. Tatsächlich hatte es jetzt im „Envoy“ Platz (Dormitory für 5700 Dram). Ich musste aber noch bis elf Uhr warten. So schrieb ich etwas und staunte nicht schlecht, als aus dem Zimmer gegenüber plötzlich Sebi und Sonja traten. Er hatte gestern seine NGO-Dame nicht erreicht und landete so in derselben Unterkunft wie ich.

Nach dem Verschieben meines Materials ins angenehm gekühlte Zimmer organisierte ich das Waschen meiner sämtlichen Kleider, inclusive Töffausrüstung. Der Mief muss wieder einmal definitiv aus meinen Textilien verschwinden. Ich hatte um halb eins Uhr mit den beiden bei der Opera abgemacht. Aber da erlebte ich eine ganz spezielle feuchte Überraschung. Vor allem viele junge Armenier waren mit Kübeln, Flaschen, Schläuchen und Wasserpistolen bewaffnet. Und ich wusste nicht, wie mir geschah. Sofort wurde ich zu ihrem Opfer ausgewählt und war schon im selben Moment von Kopf bis Fuss tropfnass. Ich fürchete nur um meine Kamera, aber der Rucksack wurde mir entrissen, damit ich auch wirklich gehörig getaucht werden kann. Auf dem Opera-Platz war eine ausgelassene Wasserschlacht im Gange. Da wurde mit Wasser in allen Richtungen geworfen, gespritzt, gelacht. Sogar Feuerwehrauto standen im Zentrum und spritzten auf alle Seiten. Was für ein Spass! Ich liess es mir nicht nehmen, einen ganz besonderen GoPro-Film zu drehen, in dem ich mich ins Zentrum des Geschehens begab… Die Abkühlung war keineswegs unangenehm, weil es unterdessen schon sehr warm geworden war. Tatsächlich fand an diesem Sonntag die „water celebration“ statt, ein alljährlich wiederkehrendes Spektakel, das seinen Ursprung im christlichen Glauben hat und sich nach dem Kirchenkalender richtet.

Als Sonja und Sebi kamen, vergingen natürlich ebenfalls auch nur Augenblicke, bis sie triefend nass waren… Wir machten uns auf einen Spaziergang Genozid-Museum, gerieten aber immer wieder in neue Wasserscharmützel. Von Balkonen wurde mit Wasser geworfen. Wir wurden verfolgt und erneut nass gemacht, ein Auswringen des T-Shirts lohnte sich nicht. Enttäuscht wurden wir beim Museum, das wegen des speziellen Feiertags geschlossen war. Per Taxi fuhren wir zum Museum of History, aber hier beim grossen Brunnen schienen sich die Wasseraktivitäten zu vervielfachen. Es war unmöglich, trocken zum Eingang des Museums zu kommen. Und so wurden wir erneut tropfnass. Sogar im geschützten Eingangsbereich des Museums war man vor Wasser nicht sicher.

Der Vorteil war, dass jetzt das Museum fast leer war, es war aber auch ordentlich kühl – eigentlich ideale Voraussetzungen, sich zu erkälten. Das Museum zeigt eindrücklich, was für Hochkulturen hier schon am Werk waren, als bei uns noch die Pfahlbauer am Werk waren. Da waren 5000-jährige Wagen mit Originalrädern, sogar ein noch älterer Schuh zu bewundern, unzählige alte Gefässe, riesige Amphoren, aber auch virtuose Gegenstände aus der Steinzeit. Armenien hat eine sehr bewegte, aber auch sehr traurige Geschichte hinter sich. Immer wieder kämpften andere Kriegherren um das Gebiet. Schon um 300 hatte sich der christliche Glaube durchgesetzt, man weitete das Herrschaftsgebiet bis weit in den Westen der Türkei aus. Dann stand das Land aber wieder unter islamischem Einfluss, und schliesslich waren es auch die Russen, die schon 1876 und während des Ersten Weltkrieges in das Land einfielen. Nach den Kriegen wurde nie eine Einigung erzielt, was mit Armenien geschieht. Die Türken versuchten während des Ersten Weltkrieges der Armenien-Frage auf eine besondere Art zu entledigen, indem sie versuchten, einfach alle Armenier umzubringen, vorerst vorwiegend jene vielen, welche noch in der Türkei lebten. Millionen von Armeniern wurden in den Südosten der Türkei verschleppt und gnadenlos hingerichtet – ein Genozid der übelsten Art und noch heute von der Türkei nicht eingestanden. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde Armenien von der Sowjetunion einverleibt und ist erst seit 1989 unabhängig. Das wohl Bedrückendste in Yerevan ist, dass dessen Hausberg Ararat in der Türkei liegt, dabei hat sich das „lower Hayastan“ einmal bis weit ins heutige Staatsgebiet der Türkei ausgedehnt. Leider wurden viele armenische Kirchen in der Türkei zerstört, in Moscheen oder noch schlimmer in Toiletten verwandelt. Es wird verständlich, warum die Grenze zur Türkei geschlossen ist.

In einem feinen italienischen (!) Restaurant assen wir gegen Abend gute Pizzas und Pasta. Dann arbeitete ich etwas am Blog, traf mich mit den beiden spätabends aber nochmals. Es verging allerdings einige Zeit, bis ich die „Cascades“ gefunden hatte. Diese sind monumentale Bauwerke, verbunden mit weiten Treppen aus der Sowjetzeit. Auf der riesigen Aussichts-Plattform aus Beton tranken wir noch ein Bier und verabschiedeten uns (wohl) zum letzten Mal.

Km: 8496

Mo, 13.07.2015: Kein Erfolg für das Turkmenistan-Visum in Yerevan

Ich war nicht sicher, ob die turkmenische Botschaft heute wegen der Feiertage überhaupt offen hat, aber ich wollte trotzdem dorthin fahren. Sie ist auch nicht sehr weit entfernt und fand sie in einer Hintergasse sehr gut. Ich wurde sofort sehr freundlich eingelassen, aber der Bescheid war gleichwohl weniger gut. Transitvisas werden nur in Nachbarländern Turkmenistans ausgestellt. Also habe ich es in Teheran zu versuchen.

Heute war sonst ein Diensttag, der 6. Teil des Blogs wurde aufgeschaltet, Fotos und Filme sortiert. Schade war nur, dass der Aufenthaltsraum im „Envoy“ im Keller liegt, aber wenigstens ist es hier angenehm kühl.

Km: 8504

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Kommentare: 6
  • #1

    tino (Montag, 13 Juli 2015 22:32)

    Hei sturzi!
    Dein Blog ist einfach der absolute Wahnsinn!!!!! Habe bis jetzt jede Zeile förmlich eingesogen....
    Vielen Dank, dass du uns auf diese Weise an deinem Abenteuer teilnehmen lässt.

    Wünsche dir weiterhin gute, unfallfreie Fahrt!
    Tino

  • #2

    Irmgard (Montag, 13 Juli 2015 23:32)

    Hoi Sturzi
    ein wahres fressen, deine Informationen. Sehr interessant.
    Wir wünschen Dir eine gute Weiterreise.

  • #3

    René (Nr. 9) (Dienstag, 14 Juli 2015 10:40)

    Hey Sturzi, genial din Blog. Ich bin immer wieder ganz gspannt, was im nöchste Teil z'lesä isch. Ich wünsche Dir alles Gueti uf Dinere Reis, heb der Sorg!
    Liebi Grüess us Oberbüre!

  • #4

    Raffi Weibel (Dienstag, 14 Juli 2015 15:26)

    Hey Sturzi.. :-)
    Dein Blog ist fantastisch spannend zu lesen.. Vielen Dank für die vielen geschichtlichen Hintergründe und die einzigartigen Eindrücke in Bild und Text.. Ich wünsche dir eine gute Weiterreise und freue mich auf den nächsten Blogeintrag..
    LG Raffi

  • #5

    Heinz (Mittwoch, 15 Juli 2015 15:29)

    Hoi Urs
    Ich lese mit grossem Interesse deine Reiseberichte. Ich war ja selber auch in Tiflis und in Yerevan, natürlich nicht im Hotel, sondern im Sheraton oder im grossen Hotel gegenüber der Oper in Yerevan.
    Hast du auch die Cognac-Fabrik besucht, die sich eingangs der Stadt befindet?
    Weiterhin spannende Erlebnisse und alles Gute.
    LG Heinz

  • #6

    Iso (Donnerstag, 16 Juli 2015 12:07)

    Besser geht's nicht. Hab bei 40 grad im alentejo schon ungeduldig auf die nächste Trance gewartet. Hast du übrigens den hengartner beim schuerli schon getroffen? Das ist grad links vom wiesle, Weisch!