Manchmal kommt es anders, als man denkt - aber trotz allem ist alles im grünen Bereich. Ich hätte nicht gedacht, so bald wieder in der Schweiz zu sein, und wenn's nur für 48 h war...
Sa, 06.06.2015: Bansko – Haskovo: Die Fahrt der hundert Hügel und tausend Kurven
Das Wetter war ausgezeichnet für diesen Reisetag. Weil ich zumeist auf über 1000 m.ü.M. unterwegs war, war es ordentlich kühl, aber angenehm. In den Bergen war es teils wolkig, aber die Sonne zeigte sich immer wieder. Es war ein toller Reisetag.
Die Fahrt führte zuerst bergab Richtung Gotse Delchev entlang eines immer breiter werdenden Flusses, dessen Wasserqualität aber für einen zukünftigen Flosstrip nicht überzeugte. Bis Dospat, mit seinem Stausee noch bekannt von der Reise vor vier Jahren, stieg die Strasse, vorbei an Wäldern und Feldern, an denen Bauern von Hand ihre Plantagen bewirtschafteten, kontinuierlich an. In Dospat machte ich einen Halt am Stausee. War aber nicht wirklich sehenswert. Kleinindustrie, weiss Gott was, störte die Idylle. Ich fuhr weiter östlich über einen Pass und dann lange Zeit talwärts durch Föhrenwälder, vorbei an einigen verschlafenen, ärmlichen Dörfern. Shiroka Laka erinnerte mich mit ihren Bauten etwas an die kleine osmanische Stadt Safran Bolu im Norden der Türkei. Die Ziegelbauten werden sorgsam aufrechterhalten, um einige Einkünfte mit dem Tourismus zu machen. Bald erreichte ich nach einer deftigen Steigung Pamperovo, und hier wurde ich wirklich überrascht. Dieser Ort war auf der Karte nicht einmal eingezeichnet, aber hier standen riesige, neue Hotels, die offenbar auf Wintertourismus ausgelegt sind. Tatsächlich entdeckte ich auch einen recht modernen Sessellift. Aber ich fand bei Gott keine höheren Berge, ich weiss nicht wirklich, wo und wie hier wirklich Ski gefahren werden kann. Auf der Karte rekonstruierte ich, dass die Berge kaum 1600 m hoch sind. Pamperovo war ziemlich leer um diese Zeit und brachte keinen Grund zum Verweilen. Jetzt ging es einige Kilometer steil bergab, und ich fand problemlos die Abzweigung Richtung Ardino/Kardzali. Die Strasse stieg wieder an, ich hatte einen weiteren Hügel zu bewältigen, aber ich kam nur schleppend vorwärts, weil die Strasse mit Löchern durchsetzt und sehr holprig war. Die 35 km Strecke bis Ardino unterschätzte ich vollkommen, weil es immer wieder auf und ab ging. Der Tag geht deshalb ein als Tag der hundert Hügel und tausend Kurven. Ich war froh, Ardino endlich erreicht zu haben, denn allmählich wurde das Benzin knapp. Und da war tatsächlich eine Tankstelle (1 Liter = 1.18 Sfr). Nach Ardino begann es erneut massiv anzusteigen. Unterdessen war ich hungrig geworden und machte auf der Passhöhe Halt bei einem kleinen bulgarischen Restaurant. Es war schon halb vier Uhr und hatte Glück, dass der Chef eben eine Reihe frische Hamburger auf den Grill warf. Ich bestellte auch drei davon, garniert mit frischem Salat, trank zwei Colas und bezahlte schliesslich Fr. 3.80 für alles zusammen… Je mehr man sich im Stotzgrotzen bewegt, desto billiger ist alles!
Kardzali, eine recht grosse Stadt, empfing mich mit heruntergekommenen altkommunistischen Plattenbau-Blöcken, nicht wirklich ansehnlich und undenkbar, hier hausen zu müssen. Unterdessen hatte ich das Hügelland verlassen und fuhr noch weitere 45 km bis vor Haskovo. Bei der Einfahrt in diese Stadt machte ich Halt bei einem neuen Hotel am Strassenrand (Ring Pension) und kriegte ein sehr sauberes Zimmer für 12 €. Nur essen mochte ich nicht mehr, denn in meinem Magen braute sich ein Gewitter zusammen, das aber glücklicherweise nicht zum Ausbruch kam. In diesem Hotel sah ich diese ersten nichtbulgarischen Leute heute – eine moldawische Gruppe hatte einige Zimmer gebucht. Aber diese Menschen sprachen kein Wort mit mir und wichen meinen Augenkontakten absichtlich aus…
Km: 3858
So, 07.06.2015: Haskovo – Sozopol mit böigen Winden
Am Morgen entdeckte ich in meinem Handy ein GPS-Programm, mit dem sich leicht Routen planen lassen. Ich wusste deshalb, dass ich schon nach 1.2 km nach rechts in eine Nebenstrasse abbiegen konnte und so gar nicht in die Stadt einfahren musste. Nach weiteren 4.6 km erreichte ich die gut ausgebaute Strasse Richtung Haninli. Dann ging es weiter Richtung Nordosten nach Topolovgrad – Elbovo. Es herrschte erneut angenehmes Töffwetter, aber heute störten je länger desto mehr die böigen Winde, die versuchten, mich aus dem Gleichgewicht zu bringen. Da galt es, etwas langsamer zu fahren. Das Land in Bulgariens Osten ist fein gewellt, wenige Siedlungen sind auszumachen. Ich bin eigentlich erstaunt, dass auf dem weiten, fruchtbaren Land nicht Weizen oder Mais angepflanzt wird. Trotz Gegenwindes erreichte ich Burgas schon um die Mittagszeit. Von hier aus war es noch ein Klacks bis Sozopol am Schwarzen Meer, das ich im dritten Anlauf endlich erreichte. 2011 und 2014 waren mir die Distanzen bis hierher einfach zu gross. Sozopol hatte eine schöne Altstadt, ist touristisch gut ausgebaut. Nach einigem Suchen fand ich eine private Unterkunft für 17 €, Zimmer mit Balkon, sauber und geräumig. Nach einem Rundgang und einem Bier wollte ich zu Hause eigentlich noch Tagebuch schreiben, blieb aber am TV hängen, weil Wawrinka gegen Djokovic zu gut spielte und ja schliesslich auch den French-Open-Titel gewann.
Unterdessen war ich extrem hungrig geworden, fand im Tardra ein gutes Restaurant an der Steilküste. Es war wegen des Windes recht kühl, das Essen mit Fisch aber prima. Noch besser war der bulgarische Wein (Syrah-Cabernet 14.8%), von dem ich gleich noch eine Flasche über die Gasse mitnahm.
In der Altstadt lief später fast gar nichts mehr. Die Nacht war sehr ruhig, nur das Krähen der vielen Möwen war zu hören.
Km: 4121
Mo, 08.06.2015: Ein Tag in Sozopol
Ja, so wirklich warm werde ich in diesem Strandort nicht. So informierte ich mich am Morgen nochmals über die diversen Visas, die ich in Istanbul ergattern möchte. Das wird ja eine spannende Fahrt in diese Riesen-Weltstadt… Ich buchte am Morgen eine Unterkunft und hoffe, diese dann auch zu finden… Jetzt wäre ein Navi vielleicht doch nicht so schlecht…
Am Nachmittag fuhr ich an den Südstrand. Zuerst ass ich guten Seafood und legte mich dann an den Strand. Als ich endlich ins wellenträchtige Meer steigen wollte, wurde ich vom fetten Bademeister zurückgepfiffen, der es als zu gefährlich erachtete, ins Meer zu steigen. Aber für eine Abkühlung reichte es, und ohnehin war das Wasser noch nicht sonderlich warm (etwa 20°C). So studierte ich die Leute am Strand, Bulgaren sind kein schönes Volk…, aber ich kam in Kontakt mit einer Deutschen, die mit ihrem drei adoptierten Mädchen (zwei Afrikaninnen, eine Bulgarin) unterwegs war.
Gegen Abend kamen Wolken auf, die sich auch noch die nächsten Tage halten dürften. So wird mich hier wohl nichts mehr halten. Am Abend ass ich guten Fisch und bereitete mich für die spannende Fahrt nach Istanbul vor.
Km: 4139
Di, 09.06.2015: Sozopol – Sultanahmet/Istanbul: Das Stadtabenteuer
Am Morgen war ich schon recht früh bereit. Nach einem guten Cappuccino ausgangs Sozopols änderte ich kurzfristig das Routing und fuhr auf vorerst guter Strasse Richtung Süden nach Carevo. Hier bog die Strasse ins Landesinnere ab und wurde sofort grottenschlecht. Da waren sie wieder, diese Löcher und Unebenheiten, denen man kaum ausweichen konnte. So kam ich nur mühsam und langsam voran. Dafür landete ich unerwartet in einen riesigen Nationalpark. Ich fuhr stundenlang nur durch Wald, der unseren Wäldern gleich; nur mehr Eichen und (gesunde) Eschen und viel Buchen hat es da. Ab und zu waren Wander- oder Bikewege markiert. Ich fuhr durch Täler und Hügel, es war einiges an Höhendifferenz zu überwinden, aber ich brauchte dafür unendlich viel Zeit. Schliesslich erreichte ich Malko Tarnovo an der türkischen Grenze aber doch noch. Der Grenzübertritt war problemlos; wieder wurde mein Motorrad im Pass vermerkt, damit ich nicht auf die Idee komme, es im Land zu verkaufen.
Die Qualität der Strasse auf der türkischen Seite war nicht unerwartet um Welten besser. Da wurde offensichtlich mit gewaltigen Maschinen gearbeitet, einiges an Erdmassen verschoben. So kam ich jetzt ausgezeichnet voran und hatte die Autobahn, herkommend von Edirne bald erreicht. Es hatte erstaunlich wenig Verkehr auf dieser Autobahn. Nach einem kurzen Fressstopp mit türkischen Teigwaren und gefüllten Peperoni näherte ich mich in Windeseile der Weltstadt Istanbul. Als ich 30 km vor dem Ziel noch gar nicht daran dachte, dass die Stadt schon anfangen könnte, war sie schon da: Hochhäuser, Blöcke, Siedlungen, Quartiere und ein Riesengewusel an Autos. Ich folgte weiter der unterdessen sehr verkehrsreichen Autobahn und verpasste schliesslich tatsächlich die richtige Ausfahrt. Dies realisierte ich jedoch bald und nahm die nächste und landete im Middle of Nowhere. Zwar sagte mir mein Orientierungssinn, dass ich jetzt Richtung Südwesten fahren muss. Immer wieder fragte ich, wie ich nach Sultanahmet komme, aber die netten Leute konnten mir keine richtige Auskunft geben, sei es, weil sie es selber nicht wussten, sei, weil es einfach so unendlich kompliziert war. Aber eines hatte ich verstanden: Ich musste Richtung Eyüp halten, landete aber in Alibeykoy, immer noch 10 km entfernt vom Stadtzentrum. Zudem steckte ich
im stärker werdenden Abendverkehr fest. Mit meinen Seitenkoffern und der schweren Ladung war ich nicht genügend flexibel, um die Kolonnen zu überholen. Aber ich nahm es ganz ruhig, Geduld war gefragt, und schliesslich näherte ich mich instinktiv richtig meinem Ziel. Dann erreichte ich endlich Sultanahmet, das pure Verkehrschaos, und jetzt musste noch das Hotel gefunden werden. Nochmals musste ich nachfragen und nochmals und nochmals. Schliesslich war ich geschlagene zwei Stunden in Istanbuls grausamem Verkehr unterwegs, bis ich
endlich vor meinem Hotel stand. Die Erleichterung war gross, dass alles gut gegangen war. Ich checkte ein und bezog im ersten Stock ein schmuckes, gut eingerichtetes Zimmer mit alten Steinwänden und bequemem Bett.
Nach der verdienten Dusche machte ich sofort einen Rundgang durch dieses Viertel und war beeindruckt vom nervösen Betrieb mit unwahrscheinlichem türkischem Temperament. Bald erreichte ich eine Gasse mit vielen Restaurants. In jedem von ihnen wollte man mich drinhaben. Schliesslich entschloss ich mich für eines und ass gute gegrillte Sardinen mit Salat.
Nach einem zweiten Bier plante ich im Zimmer den nächsten Tag, das nächste Verkehrsabenteuer stand mir bevor…
Km: 4569
Mi, 10.06.2015: Uzbekistan-Visum in Istinye
Ich hatte beschlossen, mich zuerst um das Uzbekistan-Visum zu kümmern. Aber das Konsulat war 20 km ausserhalb des Stadtzentrums, und mir graute vor dieser Fahrt. Diese stellte sich entlang des Bosporus, an dem man sich gut orientieren konnte, zwar als verkehrsreich, aber doch recht problemlos heraus. Ich hatte Istinye nach einer Stunde erreicht, die usbekische Botschaft zu finden, die sich in einer Hinterstrasse befindet, war dann aber doch noch eine Herausforderung. Schliesslich setzte sich ein älterer Türke auf meinen Sozius-Sitz und führte mich gerade noch rechtzeitig an die richtige Stelle, wo schon viele andere Visa-Anwärter warteten. Ich traf auf Touristen, die schon seit zwei Wochen auf ihr Visum warten. „Das kann ja heiter werden“, dachte ich. Aber noch verliess ich mich auf meinen „letter of invitation“, der vor zwei Tagen noch in Sozopol per Mail angekommen war.
Mit dem Ausdruck, Pass und Passbildern bewaffnet, wurde ich um 11 Uhr in das Konsulat eingelassen und präsentierte natürlich sofort meinen super „letter“. Er wurde zwar kaum beachtet, gleichwohl wurde mir gesagt, ich müsse bei der Akbanc 80 $ einzahlen und um vier Uhr wieder hier erscheinen. Nach dieser Einzahlung verbrachte ich drei Stunden lesend in einem Strassenrestaurant. Wolf Haas‘ „Brennerova“ ist einfach zum Schreien! Vor vier Uhr war ich wieder vor der Eingangspforte. Ich wunderte mich, dass ich neben einigen Uzbeken der einzige war, der wartete, bis schliesslich auch noch zwei Engländer auftauchten, die mit dem Velo (!) nach Kirgistan unterwegs sind. So waren es schliesslich nur wir drei, denen heute ein Visum ausgestellt wurde. Ich hatte also wieder einmal alles richtig gemacht. Ein Tag, ein Visum, super! Diese 45 £ für diesen letter haben sich also definitiv gelohnt, obwohl ein solcher als Schweizer gar nicht notwendig gewesen wäre. Aber Vorbeugen ist besser als Heilen…
Zufrieden fuhr ich wieder Richtung Innenstadt und kam verkehrsmässig in Hochform. Sogar die türkische Motorradfahrer konnten mir kaum folgen. Links und rechts und über doppelte Sicherheitslinien wurde überholt, um dann wieder mit über 80 über ein freies Strassenstück zu brettern. In Rekordzeit hatte ich die 20 km Rückweg zurückgelegt.
Am Abend ging ich nochmals in die Innenstadt, fand ein einheimisches Restaurant im steilen Aufstieg Richtung Ayasofya. Der Fisch war mittelprächtig, das Bier gut.
Am Abend bereitete ich die nächsten Visas vor. Es wurde recht spät, bis ich alles bereit hatte. Aber vorerst schlief ich schlecht ein. Warum wohl?!
Km: 4569
Do, 11.06.2015: Nach dem Hochmut kommt der Fall – AUSGERAUBT!
Der Tag begann schon ziemlich deftig, als ich noch im Tiefschlaf lag. Es war exakt zwischen 5.31 Uhr und 5.33 Uhr, als ein vermutlich syrischer Mann die Fassade meines Hotel bis zum meinem Zimmer im ersten Stock hochstieg, glücklicherweise aber weniger Interesse an meiner Person als vielmehr meinen Habseligkeiten hatte.
Nur Minuten später bin ich aufgewacht für einen kurzen Toilettenaufenthalt und wunderte mich noch, dass meine Vorhänge plötzlich offen standen, schenkte dem aber nicht weitere Beachtung, schrieb diese Tatsache dem Wind zu und legte mich wieder schlafen. Um Viertel vor acht Uhr stand ich auf, um schnell zu frühstücken, denn ich wollte um 8.30 Uhr im iranischen Konsulat sein, um mein nächstes Visum zu beschaffen. Ich wurde jedoch schier in den Wahnsinn getrieben, weil ich meine Hose einfach nicht mehr fand. Alles Suchen nützte nichts, sie blieb verschwunden. Allmählich realisierte ich, was passiert sein musste, denn auch mein Geldgürtel war wie vom Erdboden verschluckt. Fast eine Stunde lang durchsuchte ich all meine Utensilien nach den zwei vermissten Dingen, aber sie tauchten nicht mehr auf. Es blieb mir nichts anderes übrig als aufzugeben und die Rezeption zu informieren. Dieser war bereits die beschädigte Videoüberwachung an der Wand vor dem Hotel aufgefallen. Der Schluss war bald gezogen und schnell bestätigt. Die Videoüberwachung vor dem Hotel hatte ihre guten Dienste geleistet. Es war deutlich zu erkennen, dass hier eine Bande mit sechs Personen (!) am Werk war. Fünf Männer überwachten die Situation, während einer offensichtlich die Fassade des Hotels hochstieg und sehr schnell auf meinem Balkon stand. Ich hatte gleich in mehrfacher Hinsicht Pech. Erstens stellte sich heraus, dass der Rezeptionist zu dieser Zeit eingeschlafen war (!), zweitens hatte ich am Vorabend das Fenster einen Spalt weit offen gelassen, aber die Vorhänge gänzlich zugezogen. Beides musste den Räubern aufgefallen sein, und dies machten sie sich zu nutzen. Der eine Mann trat also tatsächlich in mein Zimmer ein, während ich noch fest und tief schlief. Die dritte Unzulänglichkeit war, dass ich genau in dieser Nacht meine Wertsachen nicht im vorhandenen Tresor einschloss, weil ich noch bis spät in die Nacht mit dem Ausfüllen des Visa-Formulars für Tadschikistan sowie der Streckenplanung zu den Konsulaten beschäftigt war.
Es war aber schliesslich auch wieder Glück im Unglück, dass die Räuber nur am Bargeld interessiert waren. Mein Handy lag gleich neben meinem Geldgürtel bei meinem noch offenen Computer, meine Kameras lagen dort, aber dies liess der Unhold unberührt liegen. Aber gleichwohl ärgerte ich mich über meine Nachlässigkeit, meine Wertsachen nicht ordnungsgemäss im Safe versorgt zu haben. Aber immerhin blieb ich im Besitze des Wichtigsten, meiner Technik-Ausrüstung sowie meines Passes, den ich am Vorabend noch aus dem Gürtel genommen hatte, um das Visa-Formular auszufüllen. Auch mein Motorrad stand noch an seinem Ort vor dem Hotel, obwohl die Schlüssel in der Hose steckten, die er in der Hoffnung auf noch mehr Bargeld, hatte mitlaufen lassen.
Auf dem Video war dann klar ersichtlich, wie der Räuber zuerst den Geldgürtel und dann meine Hose vom Balkon geworfen hatte. Die Komplizen leerten dann sofort den Inhalt: Viel Bargeld (800 €, 500 $, 250 Sfr., 800 türkische Lira) sowie sämtliche Kredit- und Bankkarten verabschiedeten sich im Nirvana… Die Bediensteten des Hauses suchten am Morgen die ganze Umgebung ab und fanden tatsächlich die leeren Geldgürtel und die Plastikmäppchen darin. Aber von Hose und vor allem Schlüssel war leider nichts zu finden.
Was tun bei einem solchen Geschehen? In erster Linie cool bleiben und dankbar sein, dass es noch viel schlimmer gekommen war. Ich hätte ja auch einige Minuten früher aufwachen können, man stelle sich lieber nicht vor, was dann hätte passieren können. Zudem blieb ich ja noch im Besitz der wichtigsten Sachen. Nach einem kurzen Frühstück handelte ich dann wie in Trance. Natürlich mussten telefonisch sämtliche acht Karten gesperrt werden. Glücklicherweise wurde unterdessen keine von ihnen missbraucht. Aber beinahe mein sämtliches Bargeld hatte ich verloren, nur ein Notgroschen an einer anderen Stelle in meinem Gepäck blieb mir: 65 US$... Glücklicherweise konnte ich telefonisch über Western Union (allerdings zu nicht netten Konditionen) mir selbst 1500 $ überweisen, auf die ich mit einer besonderen Nummer und dem Pass bei irgendeiner Bank mit Western-Union-Service innert Minuten Zugriff habe. Dies funktionierte am Nachmittag dann auch tatsächlich, wenn auch erst bei der dritten Bank.
Die Hotelangestellten wie auch der Chef waren sehr betroffen über den Vorfall. Seit sechs Jahren hatte sich nichts mehr Derartiges ereignet. Sie halfen mir, so gut es ging, ich kam sogar in den Besitz des Räuber-Videos und sie schenken mir den Aufenthalt in ihrem Hotel. Gemeinsam mit einem gut Englisch sprechenden Angestellten suchten wir noch am Morgen das nahe Polizeirevier auf für einen Rapport. Es ging nicht lange, bis auch die Spurensicherung in meinem Zimmer war, aber nichts Entscheidendes feststellen konnte. Am Nachmittag wurde der Rapport abgeschlossen, sodass ich mit meiner Versicherung in Kontakt treten konnte, die mir hoffentlich meinen Schaden ersetzt. Mein Motorrad wurde im nahen Haus des Besitzers des Hotels eingeschlossen, denn jetzt wäre es ja ein Leichtes, mir auch noch dieses zu entwenden.
Aber es geht mir momentan nicht besonders gut, ich habe den Nimbus der scheinbaren Unverwundbarkeit auf Reisen verloren, und Vertrauen ist wohl das Wichtigste, das man auf einer solchen Reise braucht. Aber ans Aufgeben denke ich natürlich nicht, aber es ärgert mich, dass ich jetzt in Istanbul festsitze und warten muss, bis mir all die Bankkarten nachgesendet werden und diese vor allem auch eingetroffen sind.
Und dann ist da noch die Sache dem „evil eye“. Es ist eine jahrhundertelange Tradition, an den Häusern kleine Schilder mit blauen Augen zu montieren, die das Böse abhalten sollen. Dieser Zauber ist schon bekannt seit dem alten Ägypten und Mesopotamien. Der nette Angestellte, der mich zur Polizei begleitete, erzählte mir, dass das Böse besonders dann gerne zuschlägt, wenn es eben gerade noch sehr gut war und man vielleicht auch etwas nachlässig werde. Genau dies scheint mir passiert zu sein. Gestern noch frohlockte ich noch über meine Cleverness, wie ich zu meinem Uzbekistan-Visum gekommen bin, und schon heute bin ich auf dem Boden der Realität gelandet. Man kann es auch so sehen: Hochmut kommt vor dem Fall…
Am Nachmittag ging ich auf einen Spaziergang durch Sultanahmet, kaufte zwei Paar neue Hosen für 45 Fr., dazu einen Gurt, der sich zusammen mit den Hosen auch verabschiedet hatte… Da gab’s einen echt türkischen Dürum und ein Bier, aber auch so sollte keine wirkliche Freude aufkommen. Ich kenne es, und jetzt ist es eingetroffen, das erste ernstzunehmende Tief. Etwas Gesellschaft würde mir jetzt gut tun…
Am Abend ging ich gleichwohl noch einmal aus. In der Nähe beobachtete ich einige Einheimische beim Schälen von frischen Shrimps – und die müssen noch gekostet werden. Draussen tönt es nach Fussball. Ganz in der Nähe hat es einen kleinen Kunstrasen-Fussballplatz, der konstant in Gebrauch ist, nachts bis Mitternacht – mit den dazugehörenden Lärm-Emissionen, welche mich nicht wirklich stören…
Km: 4569
rechts gut zu erkennen: Der Einbrecher und sein Gehilfe!
Fr, 12.06.2015: Iran-Visum
Frühmorgens kam mir in den Sinn, dass auch meine Passfotos im Geldgürtel waren. Und Passfotos brauchte ich heute, um das iranische Visum zu beantragen. Aber ich bin ja gut eingerichtet, und ein Word-Dokument mit 16 aktuellen Passfotos war bald hergestellt. Und ich hatte Glück. Auf dem Weg zum Konsulat fand ich einen Copy-Shop, der mir meinen Wunsch für 30 Rappen erledigt.
Im Konsulat hatte ich vorerst einfach lange zu warten, weil die zuständige Person an einem Meeting weilte. Aber ich kam sofort in Kontakt mit netten Iranern, die mir beistanden und sagten, ich müsse nur etwas Geduld haben. Als ich endlich an der Reihe war, wurde mein „letter of invitation“ sofort akzeptiert, aber man wollte mich auf Dienstag vertrösten. Die passte mir gar nicht, weil ich ja das Iran-Visum benötige, um zu einem Turkmenistan-Visum zu kommen. Da gab’s zum Glück eine Express-Variante, damit ich das Visum noch heute erhalten sollte. Dafür sollte ich aber statt 55 deren 75 € bezahlen. Auf diesen Deal ging ich natürlich ein, aber ich hatte ja keine Euro mehr (Dollars sind im Iran nicht gerne gesehen…). Aber auf der Bank gleich gegenüber reagierte man positiv und ich konnte sogar in türkischen Lira bezahlen, zu einem vernünftigen Kurs. So eilte ich wieder ins Konsulat, musste nochmals einige Zeit anstehen. Unglaublich, wie ineffizient man hier arbeitet! Aber der Mann am Schalter war recht nett und kooperativ, und so hoffe ich jetzt, um drei Uhr zu meinem zweiten Visum zu kommen. Ziemlich schnell musste ich die Absicht begraben, heute auch noch zu weiteren Visas zu kommen. Diese Administrationen verschlingen einfach zu viel Zeit.
Ich war am Nachmittag etwas früher vor Ort, wurde aber mit meiner Bescheinigung gleich eingelassen. Und um zwanzig nach drei Uhr wurde ich stolzer Besitzer des Iran-Visums. Anschliessend fuhr ich noch zu einer (zu) kleinen Yamaha-Werkstätte, wo ich vielleicht wieder zu einem zweiten Töffschlüssel kommen könnte, aber ich wurde zu einer grösseren Niederlassung verwiesen.
Ich fuhr recht frohgemut zum Hotel, und da traf mich ein neuer Schock. Erst jetzt realisierte ich, dass ich ja auch Fahrzeugausweis sowie Führerschein verloren hatte. Sofort rief ich nach St. Gallen ins Strassenverkehrsamt an, hatte eine Ausweisverlustsanzeige zu machen, welche in Minuten erledigt war. Der Fahrzeugausweis ist schon auf dem Weg zu Zollers. Ein gröberes Problem verursacht der Verlust des Führerausweises. Schnell checkte das Amt, dass ich nicht mehr in der Schweiz angemeldet bin, und sie taten mir kund, dass es deshalb nicht möglich sei, ein solches Duplikat auszustellen und weiterzuschicken. Weiter kam ich nicht mehr am Freitagabend, weil es unterdessen 17 Uhr geworden war. Ich weiss nur eines: Ich kann unmöglich ohne diesen Ausweis weiterfahren, irgendwann käme es zur Katastrophe. Ich hätte nicht gedacht, dass mir eine Schweizer Behörde den grössten Stein in den Weg legt weiterzureisen. Ich schaute auf ebookers schon nach Flügen nach Zürich, die günstig zu haben sind (retour 89 £!). Ich sehe mich schon in die Schweiz fliegen, mich anmelden, den Ausweis abholen, mich wieder abmelden und nach Istanbul zurückfliegen. Dann folgt aber gleich das nächste Problem: Wie einfach wird es sein, die Türkei ohne Fahrzeug überhaupt zu verlassen? Denn es hat einen deutlichen Stempel in meinem Pass. Das wäre dann die nächste Herausforderung… Ich überlegte mir auch, die türkische Fahrprüfung zu machen, aber das dürfte ziemlich kompliziert sein. So bin ich jetzt zwei Tage blockiert in dieser Stadt, weil das Wochenende folgt. Dabei würde ich am liebsten schon morgen weiterreisen…
Mit schwerem Kopf ging ich abends nochmals aus. Grosses Menu mit Fisch, Salat, Pommes, sehr gut, dazu Bier, nicht schlecht. Aber mir war nicht drum um neue Kontakte, zu sehr belastete mich die Situation. Auch ein Telefon mit Guido/Conny brachte nur wenig Linderung. Allmählich rennt mir die Zeit davon, aber noch bleiben mir genügend Tage bis Iran (Einreise 18. Juli).
Km: 4585
Sa, 13.06.2015: Erstes Sightseeing in Istanbul
Recht unmotiviert stand ich auf am Morgen, weil zu vieles noch ungelöst erscheint. Ich wusch T-Shirts und Unterhosen aus und hängte sie auf dem Balkon auf. Nach dem Frühstück am reichhaltigen Buffet ging ich zu Fuss los, um endlich einmal die wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt zu besichtigen. Nach kurzem Spaziergang erreichte ich bei 26°C die blaue Moschee (Sultan Ahmet Camii). Ich hatte hier einige Zeit anzustehen. Viele Touristen sind Asiaten (Japaner etc.), die sich einen Sport daraus machen, sich in jeder Situation zu fotografieren, heute noch leichter gemacht durch diese unsäglichen Handy-Stangen. Da müssen sie nicht einmal mehr jemand fragen, ob man sie vielleicht fotografiert.
Das Innere der Moschee ist gewaltig, die grösste Halle, die ich wohl je gesehen hatte mit sechs Minaretten. Touristen haben nur Zutritt zu einem kleinen Teil der Moschee, der grösste Teil ist Moslems vorbehalten. Noch eindrücklicher war dann aber der Topkapi Palace (Eintritt 30 TL), das seine Anfänge schon im 4. Jahrhundert hat. Der Palast ist heute keine Moschee mehr als vielmehr ein Museum, das in verschiedene Höfe eingeteilt ist. Sehr schön ist die Durchmischung der Religionen zu beobachten. Die Römer brachten natürlich das Christentum nach Konstantinopel und damit die Kunst des Mosaiks. Immer wieder ist in kunstvollen Mosaiken Maria mit dem Jesuskind sowie die jeweiligen aktuellen Machthaber zu sehen. Viele der Mosaike sind aber nicht mehr im besten Zustand oder ganz verschwunden. Da sind aber auch kunstvolle Malereien aus späterer islamischer Zeit zu bestaunen. Eine eigenartig unheimliche, manchmal düstere, magische Stimmung in dieser gewaltigen Halle, in der nur das Geschwätz der Unmengen an Touristen stört. Der spannendste Ort war wohl die Halle des Harems, wo der Sultan vier Frauen nehmen konnte, dazu aber noch bis zu 300 Konkubinen hatte. Ein Sultan brachte es auf die stolze Zahl von 112 Kindern. Die Söhne des Sultans, die von verschiedenen Frauen waren, bekämpften sich meist, weil es nur einen zukünftigen Herrscher geben konnte. Die unterlegenen „Söhne“ starben bei den Kämpfen oder wurden ins Harem verbannt (kafes hayati = Gefängnisleben). Es gab 200 Eunuchen, welche das Harem bewachten, zuerst weisshäutig, später schwarz, als der ägyptische Herrscher der Ottomanen an die Macht kam.
Nach einem Bier ging ich zurück zum Hotel, schreibe jetzt auch der Dachterrasse. Ich beobachte die typisch türkischen Fussballer auf dem nahen Kunstrasenplatz, ballverliebt, aber technisch gut. Da ist auch ein Abfallsortierer, der verschiedene Arten von Abfällen in riesige Kunststoffsäcke packt, Abfallrecycling auf Türkisch, aber was für eine Arbeit!
Am Abend ging ich nochmals hoch zur Aya Sofya – wunderschöne Abendstimmung. Ein einheimisches Hochzeitspaar war auch unterwegs. Nachher ass ich in einem schönen, neu entdeckten Viertel gute Lammkotelettes, las lange Zeit in Haas‘ Brennerova, auch im Hotel noch. So spät war es schon lange nicht mehr geworden. Ich hoffe, am Morgen etwas länger schlafen zu können. Die kommenden Herausforderungen (be-)drücken.
Aber dann gibt es doch auch noch good News. Übers Internet bzw. Hendrik aus Tibet habe ich zwei Schweizer kennen gelernt, mit denen ich vermutlich gemeinsam durch China reisen werde. Dabei wollen wir über einige Pässe auch in den Tibet reisen und zu Fuss den Mt. Kailash (mit Passübergang auf 5600 m.ü.M) umrunden (55 km!). Aber ich kann erst definitiv zusagen, wenn ich meine administrativen Schwierigkeiten bereinigt habe.
Km: 4585
So, 14.06.2015: Morgendliches Hammam
Eigentlich ein leeres Tag. Alte Steine habe ich gestern genug gesehen, der Markt ist sonntags geschlossen, zudem liegt mir ganz anderes auf dem Magen. Aber ich kam auf die gute Idee, mich in einem Hammam so richtig zu entspannen und mich waschen zu lassen (!, 70 TL). Ich wurde bei Hotel abgeholt und in dieses türkische Bad gebracht. Am Sonntagmorgen ist es offenbar nicht üblich, ein Hammam zu besuchen, denn ausser mir waren nur zwei syrische Touristen in diesem riesigen, altehrwürdigen Bad. Sofort wurde mir eine Umkleidekabine zugewiesen, ein Tuch zum Umhängen lag bereit, und sofort ging es in die düstere, riesige türkische Sauna. Nach einer Abkühlung ging ich noch ein zweites Mal rein, aber diesmal war es so heiss, dass ich nach fünf Minuten wieder herauskam.
Ich hatte mich auf die 5x5 m grosse steinerne Liege zu platzieren, wurde eingeschäumt und massiert, dass es weh tat. Aber die Massage tat gut und entspannte. Nach dem Besuch des kühlen Höhlenbades gab’s eine Dusche und einen Tee. Tolle Erfahrung!
In sieben Minuten war ich wieder beim Hotel, sortierte Fotos, wenn nicht jetzt, wann dann?
Km: 4585
Mo, 15.06.2015: Was für ein Organisationstag in Istanbul!
Ich erwachte schon früh am Morgen in gespannter Aufregung. Schon um acht Uhr verköstigte ich mich am reichhaltigen Frühstücksbuffet, aber ich hatte keinen Hunger, zu nervös war ich, was wohl der heute Tag bringen würde.
Kurz nach neun Uhr rief ich zuerst dem netten Strassenverkehrsamt in St.Gallen an, um diesen Oberbeamten meine unmögliche Situation darzulegen. Aber die Behörde blieb weiterhin stur. Es sei nicht möglich, zu einem Führerausweis zu kommen, wenn man in der Schweiz nicht angemeldet sei. Der tolle Beamte meinte, ich solle es doch auf der Schweizer Botschaft in Istanbul versuchen, einen türkischen Führerschein zu beantragen. Aber ich wusste ja schon, dass dies mit grossem administrativem Aufwand verbunden ist.
So musste ich mich der schweizerischen Bürokratie beugen. Ich musste tatsächlich beschliessen, kurzerhand in die Schweiz zu fliegen, denn ohne Führerschein werde ich mein Ziel nie erreichen. Zuerst wollte ich aber noch mit dem Einwohneramt Gossau telefonieren, ob eine solch kurzfristige An- und Abmeldung überhaupt möglich sei. Die nette Dame meinte, das gehe auf keinen Fall (!), aber gleichzeitig konnte sie nicht verstehen, dass das Strassenverkehrsamt ein solches Theater macht. Sie wollte selber dort anrufen und die Sache in meinem Sinn ermöglichen. Keine zehn Minuten später rief die (wirklich) nette Dame zurück und bestätigte, was ich schon wusste. Es ist nicht möglich. Gleichzeitig möchte sie aber in Gossau auch keinen bürokratischen Leerlauf produzieren und versprach mir, eine Anmeldebestätigung auszustellen, obwohl sie mich gar nicht anmelden wird! Das ist ja mal ein Amt! Und so verschieden sind sie! Und das war ja mal eine gute Nachricht! Immerhin war das Strassenverkehrsamt so einsichtig, dass es mir vor Ort den Führerschein ausstellt, wenn ich dort mit Bestätigung vorbeischaue! Wenn das dann nur klappt!
Aber ich hatte ja noch andere Ziele heute: Ich hatte mich natürlich schon längst informiert, wo das turkmenische Konsulat stationiert ist. In Bakirköy, das ich nach 30 Minuten Strassenrallye recht gut fand (ich fühle mich hier ja schon fast wie zu Hause…). Schliesslich war ein türkischer Taxifahrer so hilfreich, mich in jene Seitengasse zu fahren (ich folgte ihm per Motorrad…), wo dieses unscheinbare Konsulat steht. Dort teilte man mir jedoch mit, dass es nicht möglich sei, ein Transitvisum auszustellen, ich müsste dafür nach Baku (Aserbaidschan, das ich gar nicht besuche), Teheran oder Mashad (Iran) fahren. So bekam ich vorerst einerseits wieder eines auf den Deckel, war aber gar nicht so unglücklich, weil ich so flexibel im Datum für die Einreise bleibe. Das wird dann schon klappen im Iran…
Nicht weit entfernt wollte ich kurz vor der Mittagszeit aber auch noch das tadschikische Konsulat besuchen. Und hier war man (nicht ganz unerwartet) sehr nett und erstaunlich unbürokratisch effizient. Den ausgefüllten Antrag hatte ich schon mitgebracht (ausgefüllt in jener verhängnisvollen Nacht), und so galt es nur noch, zur nahen Bank zu gehen und für das Express-Visum 50 $ zu bezahlen (25 $ hätte ich gezahlt, wenn ich in drei Tagen wieder gekommen wäre). Aber ich wählte natürlich die erste Variante, denn was man hat, das hat man… Und tatsächlich: In gut einer Stunde wurde ich stolzer Besitzer eines tadschikischen Visums!
Jetzt hatte ich aber noch eine andere Schwierigkeit aus dem Weg zu räumen. Ich war ja mit einem Fahrzeug in die Türkei eingereist, in dem im Pass ein Stempel sagt, dass ich das Land auch wieder mit Fahrzeug zu verlassen hätte. Und ich wollte vorbeugen, wenn ich dann morgen auf dem Flughafen bin und nach Zürich fliegen möchte. Glücklicherweise war der Flughafen auch nicht besonders weit entfernt und fand ihn ohne Umweg. Ich parkierte meine Maschine direkt vor den Departure-Eingängen. Hier geht vieles! Ich musste dreimal nachfragen, bis ich endlich im richtigen Büro angelangt war. Tatsächlich konnte man mir hier eine Bescheinigung ausstellen, dass ich für den morgigen Flug meine Maschine in der Türkei lassen darf. Bescheinigungen sind ja immer gut! Nochmals war ich also erfolgreich. Mit Vollgas machte ich mich auf den Heimweg. Herrlich zu fahren ohne die dumme Sicherheitsausrüstung. Es war sehr warm heute (bis 33°C).
Zurück beim Hotel hatte ich noch einmal einige Telefone zu erledigen. Denn noch bin ich nicht im Besitze meiner Kredit- und Bankkarten. Nur die Travel Cash Karten waren schon am Freitag eingetroffen! Ich musste sicher sein, dass ich zu all den Karten komme. Während ich mit der netten Dame von der Postfinance am Telefon war, klopfte es an meiner Zimmertür, und tatsächlich: Das traf die wichtigste aller Karten eben ein – meine Postkarte, über die ich alle Zahlungen abwickle und die günstigsten Bedingungen für Bancomaten im Ausland bekomme! Bravo! Aber jetzt: die Kreditkarten! Die sei auf dem Weg und sollten innert 48 h eintreffen. Weniger erfreulich gestaltete sich das Telefon mit der SBB-Masterkarte, die ich nach Hause bestellen wollte, die aber nicht innert nützlicher Frist im Böl eintreffen wird. Gleichwohl werde ich in Zürich Halbtax fahren. Die können mich mal! Besser wurde mit der Coop Mastercard reagiert. Auch die sei unterwegs und sollte rechtzeitig in Istanbul eintreffen.
So, bravo, da ist ja vieles geschafft! Jetzt galt es nur noch den Flug in die Schweiz zu buchen. Und dies klappte hervorragend! Für 89 £ fliege ich morgen per Swiss nach Zürich und am Donnerstag wieder zurück nach Istanbul! Hoffentlich im Besitz der nötigen Karten! Es gibt ja auch noch andere Gründe, weshalb es gar nicht so schlecht ist, schnell in die Schweiz zu fliegen. Ich sehe mich schon jassen am Mittwochabend (;-), zudem werde ich meine Töffschlüssel wieder duplizieren können. Mein Uhrarmband ist defekt und kann ersetzt werden, ich komme in den Besitz meiner Raiffeisenkarte und werde vor allem einige nette Gesichter kurzfristig (schneller als erwartet) wieder einmal sehen… Das ist Reisen, manchmal kommt es anders als man denkt…
Am Abend genoss ich nochmals ein ganz besonderes Essen, echtes türkisches Kebab, das in einem verschlossenen Tontopf in der Glut gegart wird. Als besonderer Höhepunkt wurde der Kopf des Tontopfes an meinem Tisch mit einem Hämmerchen abgeschlagen und gleich frisch in den Teller geleert. Hervorragendes Aroma! Und was für ein Salat! So frische Gurken und Tomaten kriegt’s du in Mitteleuropa einfach nirgends mehr, ausser du hast einen eigenen Garten.
Ich freute mich auf den nächsten Tag, auch wenn wohl schon schräge Gefühle hochkommen werde, wenn ich innert Stunden wieder im Böl in der Schweiz sein werde.
Km: 4615
Di, 16.06.2015: Überraschende Reise in die Schweiz
Fast sämtliches Gepäck und das Motorrad liess ich natürlich in der Türkei zurück, der Töff verschlossen im kleinen Abstellraum des Chefs des Hauses. So war ich nur mit einem kleinen Rucksäckli unterwegs. Ein Minibus brachte mich für 6 € zum Flughafen. Das Einchecken funktionierte reibungslos, auch der Zollübertritt, das gestern ausgestellte Papier vonwegen Töff und Zoll tat also seine guten Dienste.
Pünktlich um 13.35 Uhr hoben wir in Istanbul ab, es war angenehm, in der Swiss-Maschine wieder einmal Schweizerdeutsch zu sprechen. Für 89 £ und in 2 h 50 min war Zürich erreicht, wo es wolkig und kühl war. Der Zug brachte mich halbtax nach Wil (ich wurde glücklicherweise nicht kontrolliert…). Dort wurde ich von Guido abgeholt, der mich gleich nach Gossau in den Böl chauffierte. Meteo Hirsch kam gleich entgegengerannt, und ich sah im Garten, dass Himbeer und und Rucola doch mächtig gewachsen waren.
Nach einer Dusche fuhr ich nach Oberbüren und genoss bei Guido eine herrliche Bratwurst. Ich wurde von den Mädchen euphorisch empfangen, sie hatten den ominösen Film „Raub in Istanbul“ schon gesehen! Wir quatschten natürlich über die gehabten Erlebnisse, tranken Wein und Grappa – schräg-lustiger Abend. Wer hätte gedacht, dass ich so schnell wieder in Oberbüren lande?! Eigentlich wollte ich möglichst inkognito in Oberbüren sein, dies gelang mir natürlich nicht, der 5.-Klässer Kimi staunte über meinen Anblick, machte gleich ein Foto, das er morgen wohl stolz in der ganzen Schule herumzeigen wird…
Gleichwohl schlief ich unruhig, weil morgen doch einiges zu erledigen war.
Km: 4615 (Flugkilometer zählen nicht;-)
Mi, 17.06.2015: St.Gallen – es kommt alles gut!
Ich erwachte früh und war schon vor acht Uhr unterwegs nach Gossau. Zuerst wollte die Gelegenheit benutzen, mir beim Arzt noch die letzte, fehlende Hepatitis-Impfung verpassen zu lassen. Dann fuhr ich zum Einwohneramt, wo man mir ohne Probleme die Anmeldebestätigung ausstellte (obwohl ich mich gar nicht anmelden musste). Auf dem weg lag jetzt das Motocenter West, wo man mir einen Schlüsselrohling für meinen Töff bestellte. Die Mechaniker begrüssten mich extrem überrascht, und natürlich hatte ich meine Story (in Kurzform) erneut zu erzählen. Sollte nicht das letzte Mal sein heute;-) Sofort fuhr ich mit meinem Peugeot samt Bescheiniung nach St.Gallen zum Strassenverkehrsamt – und siehe da: Man legte mir keine Steine mehr in den Weg. Innert zehn Minuten hatte ich meinen Ausweis in Kreditkartenformat produziert. Die nette, unbeholfene Dame sagte mir noch, dass man normalerweise dafür fünf Tage warten müsse… Und ich sagte, dass sie bei einer eventuellen Teamsitzung auf diesen bürokratischen Irrsinn hinweisen solle, das sein ja wirklich ein unglaublicher Irrsinn, den ich da mitzumachen hatte.
Auf dem Weg zum Schlüssel Müller traf ich überraschend auf Corinne Walter, die 3.-Klass-Lehrerin aus Oberbüren. Wir tauschten bei einem Kaffee unsere aktuellen Geschichten natürlich brühwarm aus. Was für ein Zufall! Nachher wollte ich im Swatchshop mein Uhrenband wechseln, das so still und leise vor sich hin zu stinken begonnen hatte. Ausserdem wurde grad noch die Batterie ersetzt. Beim Transa holte ich mir noch eine Ersatz-Rucksackschnalle, die ich gestern irgendwo verloren hatte. Beim Schlüssel Müller waren meine Ersatzschlüssel für meine Töffcases schnell gemacht und wurden mit Nagellack (!) markiert, damit ich beim Case nicht immer zweimal probieren muss, bis ich den richtigen Schlüssel erwische.
Den Mittag verbrachte ich bei meinen Eltern in St.Georgen – mit himmlischem Voressen und Wein. Sie fielen natürlich auch aus allen Wolken, mich bereits wieder zu sehen. Zufällig war auch meine Schwester Andrea dort, die momentan mittwochs an einem Kurs in St.Georgen teilnimmt.
Zu Hause traf ich auf Mäsi, der noch müde im Bett lag von den Nachwirkungen des Tour-de-Suisse-Anlasses in Schwarzenbach. Dann räkelten wir uns im warmen Wasser im Hotpool im Böl und tranken ein Bier.
Schliesslich besuchte ich noch die Polizei, um den Verlust der ID anzugeben.
Alles war also heute wie am Schnürchen abgelaufen. Man sieht, dass es gleich mehrere Gründe gab, dass ein kurzfristiger Besuch in der Schweiz eine gar nicht so schlechte Sache war. Häne kommt jetzt auch noch relativ einfach zu meinen vielen Filmdokumenten, die ich schon produziert habe. Die werden jetzt gleich auf eine externe Festplatte gespeichert. Mal schauen, was daraus wird…
Und heute Abend wird wohl in Niederstetten noch etwas Fussball gespielt und gejasst, als ob ich nie weggewesen wäre…
Und noch etwas: Eine Sache im Tagesbericht ist gelogen, welche wohl?!
Km: 4615 (Flugkilometer zählen nicht;-)
17.06.2015: Im Böl im Hotpot!
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regula (Mittwoch, 17 Juni 2015 22:30)
na sowas – ich hätte auch gestaunt, wenn ich dir heute übern weg gelaufen wäre! wär gut möglich gewesen, hatte nämlich bis heute mittag eine vertretung im hebel und ging von dort am frühen nachmittag heim.
was dir auch passiert, du weisst dir letztendlich zu helfen und lässt dich vor allem nicht völlig entmutigen und runterziehen, sondern kannst selbst in garstigen ereignissen vorteile erkennen. die stimmung des alleine unterwegsseins erinnert mich ein wenig an eigenes alleine unterwegssein. nicht immer nur einfach, aber sowas von bereichernd und beeindruckend, auch das konfrontiertsein mit sich selbst... wünsche guten rückflug!
iso (Mittwoch, 17 Juni 2015)
unglaublich. aber wem ausser dir sollte eine solche räubergeschichte auch passieren? wann bist du wieder unterwegs in den wilden Osten? passbizzliuuf, gell!
Iwan Noris Andernatt (Donnerstag, 18 Juni 2015 15:42)
Ciao Sturzi, wie das Leben so spielt. Auch ich musste heute unerwartet von meiner Rhein-Wanderung mit dem Flugzeug anstatt mit dem Auto zurück fahren, da ein guter Freund Notfallmässig mit Herzprobleme ins Spital müsste. Da habe ich Zeit gehabt deine Berichte zu lesen. Wünsche dir auf deiner weiteren Reise alles gute und wer weiß schon für was gewisse Ereignisse gut sind.... Hauptsache für mich ist, wir verlieren nie das Vertrauen in unsere Ziele.....
sturzi (Freitag, 19 Juni 2015 19:15)
Danke für eure Einträge! So könnt ihr immerhin etwas mitreisen! Morgen geht's weiter! Im Eilzugstempo strebe ich Georgien zu!
Rolf Keller (Montag, 22 Juni 2015 22:24)
Hallo Sturzi
Unglaublich, was du in deinen ersten Wochen schon alles erlebt hast. Ich wünsche dir bei der Fortsetzung deiner Reise alles Gute und viel Glück! Übrigens am 4. Dezember lädt Walter zur Semiklassenzusammenkunft ein! Leider ohne dich, aber alle können auf deiner Homepage über deine Abenteuer nachlesen. Mach's guet ! Rolf
Stoffel (Samstag, 27 Juni 2015 17:24)
Hey, ziemlich üble Geschichte! Aber obwohl sehr ärgerlich letztendlich nur "Blechschaden", zum Glück. Man lernt wo die echten Freunde und wo die wirklich komplizierten Bürokratien sind. Hoffentlich wars das mit Räubergeschichten für deine lange Reise. Viel Glück des weiteren und stay cool..
Trudy (Donnerstag, 25 Januar 2018)
Hoi Sturzi
ich habe wieder von vorne angefangen mit deinem Reisebericht. Weil du ja bald daheim bist, weiss ich dass alles gut ausgeht und kann ganz entspannt lesen und geniessen.
Sehr spannend und unterhaltsam. Beeindruckend wie du mit diesem Stress umgehst.
"Brennerovia" hat mir so gut gefallen, dass ich es gleich zwei Mal nacheinander gelesen habe.